Partitur des Todes
werden.
«Okay», sagte er und versuchte zu lachen. «Es scheint Ihnen schwerzufallen, Ihre Rolle zu verlassen.Aberes beginnt, mir Spaßzu machen, also spielen wir das Spiel ruhig weiter. Ja, wir waren gute Freunde. Wir kennen uns seit unserer Schulzeit. Wir sind, Entschuldigung, wir waren im selben Tennisverein. Unsere Familien sind mehrmals gemeinsam in Urlaub gefahren.»
«Herr Minister, Sie wissen, dass wir die meisten Mordfälle aufklären?»
GabrielEissler wurde zunehmend unruhig. Man sah, dass er das Verhalten seines Hauptkommissars missbilligte und kurz davor war,diesen zur Ordnung zu rufen.Aber der Innenminister legte dem Polizeipräsidenten für einen Moment seine Hand auf den Unterarm, um zu zeigen, dass er keine Hilfe brauchte, dass er selbst die Situation im Griff hatte.
«Das weiß ich», sagte er. «Und dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar.»
Gelächter. Eins zu zwei.
«Dann wissen Sie vielleicht auch, dass die Täter in der überwiegenden Zahl der Fälle im Umfeld der Opfer zu finden sind?»
«Natürlich weiß ich das. Dafür muss man allerdings nicht Innenminister werden. Dafür reicht es, ab und zu ein paar Krimis im Fernsehen zu schauen.»
Gelächter. Eins zu drei.
«Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gehörten Sie zum persönlichen Umfeld des Opfers», sagte Marthaler.
Schweigen. Zwei zu drei.
«Wenn ich meineArbeit als Ermittler ernst nehme, muss ich mir anschauen, welches Verhältnis Sie zu dem Opfer hatten. Gab es Konkurrenz? Gab es Streit? Eifersüchteleien? Gemeinsame Leichen im Keller? Kurz gesagt: Gab es bei Ihnen, Herr Minister, ein Motiv?»
Schweigen. Drei zu drei.
«Wenn all das stimmt, was ich gerade erläutert habe», sagte Marthaler, «dann frage ich Sie, Herr Minister, wie Sie darauf kommen, dass wir ausgerechnet Ihnen die Ergebnisse unserer Ermittlungen weitergeben werden?»
Totenstille. Vier zu drei.
Marthaler hatte gewonnen. Trotzdem hatte er das Gefühl, der augenblickliche Sieger in einem Spiel zu sein,das er auf lange Sicht nur verlieren konnte.
«Gut», sagte Roland Wagner, ohne weiter darauf einzugehen, was Marthalers Fragen und Schlussfolgerungen zu bedeuten hatten. «Gut. Jetzt wissen alle, was sie zu tun haben. Es gilt, was ich gesagt habe: oberste Priorität, äußerstes Feingefühl.»
Der Innenminister erhob sich von seinem Stuhl, lächelte,machte eine angedeutete Verbeugung und hatte kurz darauf den Saal bereits verlassen.
Es war,als würden alleAnwesenden im selben Moment aufatmen. Für ein paar Sekunden schien niemand zu wissen, wie es jetzt weitergehen sollte.Als Gabriel Eissler gerade wieder das Wort ergreifen wollte, hob Sven Liebmann beideArme zum Zeichen, dass er einen Antrag zur Geschäftsordnung habe.
«Ich möchte protestieren gegen dieses Verfahren», sagte er. «Es geht nicht, dass wir durch solche Sitzungen von unsererArbeitabgehalten werden. Es gehtnicht, dass ein Landesminister hier auftaucht und diegerade beginnenden Ermittlungen behindert, indem er irgendwelche Verlautbarungen abgibt.Es geht auch nicht, dass dieserMann dann einfach wieder verschwindet, obwohl wir ihn womöglich als Zeugen vernehmen müssten.»
Das Gesicht des Polizeipräsidenten hatte sich gerötet. Es sah aus, als würde Eissler im nächsten Moment einen Wutanfall bekommen.Aber schließlich stimmte er zu.
«Ja», sagte er. «Sie haben recht. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt. Ich hätte verhindern müssen, dass ein Politiker versucht, so direkten Einfluss auf unsere Arbeit zu nehmen.»
Rundum wurde beifällig genickt. Es gehörte zu Eisslers Qualitäten, dass er seine Fehler nicht nur einsah, sondern auch zugeben und korrigieren konnte.
«Ich möchte nicht, dass wir durch diese Dinge noch mehr Zeit verlieren», sagte er. «Ich werde Sie jetzt alleine lassen. Charlotte von Wangenheim wird die weitere Sitzung leiten. Sie ist es auch, die ich mit der Bildung einer SoKo beauftragt habe. Und ich werde mich jetzt beeilen, dem Minister mitzuteilen, dass er sich für unsere Fragen zur Verfügung halten soll.»
Wieder war Gabriel Eisslers Brille ein Stück nach unten gerutscht, wieder schob er sie mit der Spitze seines Mittelfingers zurück. Er ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, dann schaute er auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. «Ich fürchte allerdings, dass der Innenminister sowieso in meinem Büro auf mich wartet, um sich mit mir über das Verhör zu unterhalten, das der Kollege Marthaler mit ihm veranstaltet hat. Und ob es für
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