Partitur des Todes
den Hauptkommissar dann rote Rosen regnet, das wage ich doch sehr zu bezweifeln.» Marthaler hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, wieso sich seine Formulierung aus dem Kennenlernspiel bereits herumgesprochen hatte. Charlotte von Wangenheim forderte ihn auf, die Lage am Tatort zu schildern. Er beschränkte sich auf die wichtigsten Informationen.
Nach zehn Minuten beendete er seinen Bericht. Er hatte eine Skizze von Sultans Imbiss an die Tafel gezeichnet und die Lage der Opfer durch Kreuze markiert. «Fünf Tote. Den Namen Gottfried Urban kennen wir. Ob wir über die Identität der anderen Opfer inzwischen etwas wissen, kann uns Kerstin vielleicht beantworten.»
Kerstin Henschel hob den Kopf. Sie stand in der Nähe der Tür und hatte ihr Notizbuch in der Hand. Jetzt kam sie nach vorne und zeigte auf eines der Kreuze in Marthalers Zeichnung. «Opfer Nummer zwei heißt Susanne Melzer.Ausweis und Führerschein waren in ihrer Handtasche. Sie ist die Frau, die dem Staatssekretär gegenübersaß. Siebenunddreißig Jahre alt, gemeldet in Hofheim am Taunus. Ob sie etwas mit Gottfried Urban zu tun hatte oder nur zufällig zur selben Zeit auf dem Boot gegessen hat, wissen wir noch nicht.»
«Sie war seine Assistentin.»
Es warein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, von dem diese Information kam. Er hatte in der Mitte des Saals gesessen und warjetzt von seinem Platz aufgestanden. «Ich kenne die Frau vom Sehen. Wir wohnen in derselben Straße. Mehr weiß ich allerdings nicht über sie. Wir sind uns einmal zufällig im Innenministerium begegnet und haben uns kurz unterhalten.»
«Gut», sagte Kerstin Henschel, «dann sind wir damit einen kleinen Schritt weiter. Ebenfalls bekannt sind uns die Namen von Opfer Nummer drei und vier – das ältere Paar auf der linken Seite. Sie heißt Elfriede Waibling, sechsundsechzig Jahre, wohnhaft in Dietzenbach.Ausweis, Geld, Scheckkarte,Monatskarte des RMV – alles unversehrt in ihrer Handtasche. Der Mann am selben Tisch: Franz Helmbrecht, geboren 1932, wohnhaft in Frankfurt Schwanheim. Seine Brieftasche fand sichin der Innentasche seines Blousons, mit demAusweis. Keine Kreditkarten, aber ein nicht unerheblicher Geldbetrag: viertausenddreihundert Euro.Auch bei diesen beiden Opfern können wir noch nicht sagen, ob sie sich kannten. Es sei denn, es ist jemand im Saal, der wieder zufällig mehr weiß…»
Kerstin Henschel schaute sich um, aber niemand meldete sich. «Okay, das werden wir herausfinden.»
Dann zeigte sie auf das letzte Kreuz: «Opfer Nummer fünf: der Mann in der Blutlache. Das Verletzungsbild lässt darauf schließen, dass er sich dem Täter in den Weg gestellt hat.Aber: kein Name, keinAusweis, keine Brieftasche, keine Erkenntnisse. Immerhin ein Schlüsselbund und knapp vierhundert Euro in bar. Robert, du hattest den Eindruck, den
Mann zu kennen. Ist dir dazu inzwischen etwas eingefallen?»
Marthaler schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen.
«Okay.Auch das wird sich klären. Wahrscheinlich hat eram letzten Tisch rechts gesessen. Dort war allerdings für zwei Personen gedeckt: vielleicht für einen weiteren Gast, der das Glück hatte, das Boot vor der Tat zu verlassen. Vielleicht für den Täter. Vielleichthat aber auch der Wirt selbst hier gemeinsam mit unserem unbekannten Opfer gesessen.
Wenn ich recht informiert bin, ist der Betreiber von Sultans Imbiss verschwunden.»
«Nein», sagte Sven Liebmann. «Ich habe gerade eine SMS erhalten. Erkan Önal ist auf der Maininsel unterderAlten Brücke gefunden worden. Schwer verletzt. Mehr weiß ich nicht.»
«Sonst noch was?», fragte Charlotte von Wangenheim.
«Nein», sagte Kerstin Henschel, «das ist bislang alles.»
«Gut. Dann lasst uns anfangen. Die Mordkommission I wird zur Kernmannschaft unserer ‹SoKo Sultan›. Damit sind die Kollegen der MK I von allen anderen Aufgaben entbunden. Unsere Zentrale ist das Weiße Haus in der Günthersburgallee. Ich selbst werde mich fürs Erste darauf beschränken, alle Aktivitäten zu koordinieren. Bei mir laufen die Informationen zusammen. Robert Marthaler wird die Ermittlungen leiten.»
Sie machte eine Pause und schaute in den Saal. Niemand reagierte. Trotzdem war deutlich, dass ihre Entscheidung bei einigen Kollegen Verwunderung auslöste. Schließlich war es Marthaler selbst, der das Wort ergriff. «Ich weiß nicht, ob das klug ist. Ich weiß nicht, ob das den Innenminister freuen wird.»
Charlotte von Wangenheim lächelte: «Es wird gemacht, wie ich gesagt habe. Es ist
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