Partitur des Todes
Schwänzeltänze, die sie hier gleich vorgeführt bekommen würden, würden nichts anderes bewirken, als sie von ihrer Arbeit abzuhalten.
Ohne dazu aufgefordert wordenzu sein, ergriff der Minister das Wort. Er sprach von einem verabscheuungswürdigen Verbrechen, von der Trauer um die fünf Opfer und versicherte ihren Angehörigen das Mitgefühl und die großzügige Unterstützung der Behörden und der Landesregierung. Dann sprach er nur noch über seinen Staatssekretär Gottfried Urban, über dessen Verdienste und über den großen Verlust, den seine Ermordung für das Land bedeute.
Obwohl Marthaler den Ministerunverwandt anschaute, hörte er nicht hin, was dieser sagte. Stattdessen versuchte er, sich ein Bild von dem Mann zu machen, der sein oberster Vorgesetzter war, der im gleichenAlter war wie er selbst und der ihm doch so unendlich fremd vorkam. Das schmutzigblonde Haardes Ministers war in derMitte sorgfältig gescheitelt und reichte an den Seiten bis knapp über die Ohren. Er wirkt wie ein Bauernbursche, dachte Marthaler. Ein Bauernbursche, den man in einen Anzug gesteckt hat und der nun bemüht ist, niemanden merken zu lassen, dass ihm dieserAnzug nicht passt. Er lächelt wie ein unsicherer Mensch, der die Macht einesAmtes braucht, weil er ohne sie verloren wäre. Marthaler wusste, wie unberechenbar Menschen waren, bei denen sich Rücksichtslosigkeit und Unsicherheit trafen. Und dass der Minister nur wenig Skrupel kannte, hatte er in der Vergangenheit schon öfter bewiesen.
«Wir werden Ihnen jede Hilfe zukommen lassen. Sie haben in jeder Hinsicht Rückendeckung: finanziell, politisch und personell. Und wie Sie sehen, haben wir Ihnen bereits einen unserer besten Leute mitgebracht, der den Fall in die Hand nehmen wird.» Bei diesen Worten zeigte Roland Wagner auf den neben ihm sitzenden Hünen Oliver Frantisek.
«Vielen Dank», sagte Marthaler leise, aber doch laut genug, dass es in seiner Umgebung alle hatten hören können.
Der Minister zog die Augenbrauen hoch: «Höre ich Kritik aus Ihren Worten, Herr…?»
«…Hauptkommissar Robert Marthaler. Das sind mein Dienstgrad und mein Name. Ich habe mich nur bedankt.»
Der Minister schaute mit leeren Augen in den Saal. Dann machte er sich eine kurze Notiz.
«DieAufklärung eines solchen Verbrechens hat höchstePriorität», fuhr Roland Wagner fort. «Trotzdem muss ich darauf bestehen,dass in diesem Fall mit dem größten Fingerspitzengefühl ermittelt wird. Das sind wir Gottfried Urban und seiner Familie schuldig. Und ich muss weiterhin darauf bestehen, dass alle mit dem Fall befassten Kolleginnen und Kollegen alle Ergebnisse der Ermittlungen an ihre Vorgesetzten weitergeben, damit ich mich jederzeit über den Stand der Dinge informieren lassen kann. Es werden keineErklärungen an die Presse abgegeben, die nicht zuvor mit mir oder einem meiner Leute abgestimmt wurden. Sind wir uns darüber einig?»
Niemand reagierte. Ganz offensichtlich waren die anwesenden Kollegen irritiert über dasAnsinnen des Ministers.Auch Marthalerdachte einen Moment darüber nach, ob es irgendein Gesetz oder eine Verordnung gab, die es Roland Wagner erlaubte, eine solche Forderung zu stellen. Er kam zu keinem Ergebnis.
«Nein. Wir sind uns nicht einig», sagte Marthaler.
Im Saal hörte man verhaltenes Gelächter. Dann herrschteStille.
Der Minister zeigte sein weißes Gebiss. Es sollte wie ein Lächeln aussehen. Dann schaute er kurz den Polizeipräsidenten an.
«Kann ich Ihnen helfen, Herr Hauptkommissar Robert Marthaler?», fragte Roland Wagner, wobei er die letzten vier Worte überdeutlich betonte.
Marthaler dachte einen Moment über seineAntwort nach. «Ja», sagte er. «Sie würden mir am meisten helfen, wenn Sie nicht versuchen würden, mir zu helfen.»
Das Gelächter wurde lauter. Marthaler merkte, dass er dieKollegen auf seiner Seite hatte.Allerdings schien der Minister sich dadurch nicht erschüttern zu lassen.
«Dann darf ich Sie vielleicht um Ihre Hilfe bitten. Helfen Sie mir, Ihre Antwort zu verstehen.»
Wieder wurde gelacht. Dieser Punkt ging an Roland Wagner. Eins zu eins, dachte Marthaler.
«Darf ich davon ausgehen, dass Sie den Staatssekretär Gottfried Urban gut kannten?»
«Das dürfen Sie!» In der Stimme des Ministers hörte man Stolz. «Wir waren weit mehr als nur Kollegen, wir waren Freunde.»
«Gute Freunde?», fragte Marthaler.
Der Minister zögerte. Ihm war anzumerken, dass er es nicht gewohnt war, mit allzu konkreten Nachfragen konfrontiert zu
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