Partitur des Todes
Schulfreund.»
«Dann brauche ich Ihnen meinen Ausweis ja nicht zu zeigen.»
«Lass stecken!», sagte sie schnaubend. «Was willst du?»
«Joachim Morlang ist tot.»
Sie hob kurz die Augenbrauen. In ihrem Gesicht arbeitete alles daran, nicht zu verraten, was sie bei dieser Nachricht empfand.Trotzdem hatte Marthaler den Eindruck, als habe sie Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.
«Wollen Sie nicht wissen, was passiert ist?», fragte er. «Sie wirken nicht sehr verwundert. Oder gar… betrübt.» Das Wort «traurig» wäre ihm angesichts ihrer Reaktion geradezu unsinnig vorgekommen.
«Irgendwann müssen wir alle gehen», sagte sie, «der eine früher, der andere später.»
«Ja, aber Joachim Morlang war Mitte vierzig. Das ist kein Alter, in dem man normalerweise stirbt.»
«Es geht nicht der Reihe nach. Das solltest du als Polizist doch wissen.»
Marthaler schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Frau fuhr zusammen.
«Verdammt nochmal, haben Sie noch was anderes im Hirn als dumme Sprüche?»
Ihre Lippen zitterten. Gleichzeitig sah Marthaler, wie ihre Augen blitzten und wie sie das Kinn trotzig nach vorne schob.
«Wo waren Sie gestern Abend zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht?»
Sie lehnte sich zurück. Falsche Frage, dachte er. Sie zog ein letztes Mal an ihrer erst halb aufgerauchten Zigarette, drückte sie in einem der benutzten Teller aus und blies den Rauch in Marthalers Richtung. Dann setzte sie ein breites Lächeln auf.
«ImHaferkasten. Von acht bis vier. Ich hatte jede halbe Stunde Auftritt. Dann hab ich mir ’n Taxi genommen und bin heimgefahren. Die Quittung hab ich noch. Soll ich sie dir zeigen?»
Marthaler winkte ab. Er sah, wie es in der Frau arbeitete. Plötzlich wirkte sie beunruhigt. «Also hat man ihn umgelegt?», fragte sie.
«Er ist erschossen worden.Aufeinem Boot am Main.» Wieder wartete Marthaler auf eine Reaktion; aber es kam nichts.
«Das wundert Sie nicht?», fragte er.
Sie gähnte.
«Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?»
«Gestern Abend. Er hat mich mit in die Stadt genommen. Wir haben noch Pizza gegessen.»
«Wann? Wo?», fragte Marthaler.
«So um sieben rum. ImVabene.»
Marthaler kannte das Restaurant. Es war eine große Selbstbedienungspizzeria am Goetheplatz, wo jeden Abend Hunderte junger Leute auf viel zu weich gepolsterten Hockern saßen und mit viel zu stumpfen Messern an viel zu hart gebackenen Pizzen herumsäbelten. Tereza hatte ihn einmal dorthin mitgenommen und hinterher fast geweint, als er ihr sagte, was er von dem Laden hielt.
«Joachim Morlang istAnwalt gewesen, nicht wahr?»
«Ja. Und damit hat er ständig dicke getan. Er hat’s jedemerzählt, der’s nicht hörenwollte.Aber er hat schon lang nich mehr alsAnwalt gearbeitet. Er hat nichmehr gedurft.»
«Warum hat man ihm die Zulassung entzogen?»
Sie zuckte mit den Schultern. Wieder formte sie einen Kussmund und ließ ihre Lippen arbeiten. «Was weiß ich… keineAhnung. Weil er ständig rumgetrickst hat. Darüber hat er nur geredet, wenn er besoffen war. Obwohl… besoffen war er fast immer.»
«Früher hat er nur Cola getrunken», sagte Marthaler.
Zum ersten Mal zeigte die Frau eine Spur von Verwunderung: «Ihr wart also wirklich befreundet?»
Er schüttelte den Kopf. «Wir sind in dieselbe Schule gegangen, das ist alles.»
Fast schien es, als sei die Frau erleichtert darüber, recht behalten zu haben mit ihrer Vermutung, dass Marthaler sie belogen hatte.
«Und was hat er gemacht? Wovon hat er gelebt?», fragte er.
«Von mir. Und…»
«Und?»
Barbara Pavelic überlegte. Dann verzog sie angewidert das Gesicht. «Er war ein Stinker», sagte sie.
«Ein was?»
«Ein Stinker, der jede Schweinerei mitgemacht hat, die man sich denken kann. Er hat die Luden beraten, er hat Autos verschoben, Papiere gefälscht, Leute unter Druck gesetzt, alles.»
«Hat er Ihnen gesagt, was er auf dem Boot wollte?»
«Nee, Mann, ich hab nich mehr hingehört, wenn er losgelegt hat», sagte sie. «Er hat irgendwas geschwafelt von einer großen Sache.Aber das tat er alle paarWochen. Immer waren wir kurz davor, reich zu werden. Er wollte sich mit jemandem treffen… ich weiß nicht mehr.»
«Überlegen Sie bitte, es ist wichtig!»
Sie stand auf, ging zur Spüle, fischte eine der schmutzigen Tassen heraus, beäugte sie kurz und goss sich einen Kaffee ein. Marthaler war froh, dass sie ihn nicht fragte, ob er ebenfalls einen wolle. Sie blieb an der Spüle stehen und starrte ins Leere. Dann fuhr sie mit
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