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Partitur des Todes

Partitur des Todes

Titel: Partitur des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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lange nicht mehr betrachtet. Es waren Bilder aus seiner Kindheit. Wie er mit seinen Eltern auf einer Fahrt in den Harz irgendwo an einemWaldrand Picknick machte und seine Mutter lachend auf den Kirschkuchen zeigte. Wie er mit seinem neuen Fahrrad vor dem Garagentor stand und zahnlos in die Kamera grinste. Wie sein Vater ihm half, in der alten Buche ein Baumhaus zu bauen. Wie er mit zwei Freunden am Ufer eines kleinen Flusses saß und sie ihre selbst gefertigten Angeln ins Wasser hielten.
    Er merkte, wie ihm schwer ums Herz wurde. Er hatte eine Kindheit gehabt, die glücklicher nicht hätte sein können, aber all das war vorbei und würde nie mehr wiederkommen. Es war schön, daran zu denken, dennoch war es mit dem Schmerz verbunden, etwas für immer verloren zu haben.
    Marthaler legte die Fotos zurück. Er durfte sich nicht in Erinnerungen verlieren.
    Im dritten Karton fand er, was er suchte. Es waren die Bilder seiner Oberschulzeit. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie viele der damaligen Freunde er aus den Augen verloren hatte. Zu manchen hatte er noch eine Weile Kontakt gehalten, dann waren die gegenseitigen Besuche und Telefonate seltener geworden; schließlich wusste man nicht einmal mehr, wo der andere inzwischen wohnte, ob er verheiratet war, vielleicht Kinder hatte oder womöglich bereits gestorben war. Und Marthaler wunderte sich, wie fremd ihm der junge Mann geworden war, der ihm entgegenblickte, wenn er sich selbst auf diesen Fotos sah.
    Dann sah er den Dicken. Es wareine große Schwarzweißaufnahme von derAbiturfeier. In der Mitte standen Marthaler und drei seiner Freunde; sie alle hielten Sektgläser in den Händen und prosteten sich zu. Er erinnerte sich nicht, wer das Foto gemacht hatte. Der Dicke stand ein wenig abseits im Vordergrund und lächelte in Richtung der Gruppe, die ihn nicht zu beachten schien. Während alle anderen Jeans und T-Shirts anhatten, trug der Dicke einen hellen Anzug, der ihmzu eng zu sein schien. In der Hand hielt er eine der kleinen Cola-Flaschen, die man in der Pausenhalle aus demAutomaten ziehen konnte.
    Für Marthaler gab es keinen Zweifel mehr: Der Tote vom Boot war sein ehemaliger Mitschüler.
    Er überlegte, wie er vorgehen sollte. Ohne den Namen zu kennen, würde er nicht weiterkommen. Er musste jemanden finden, der sich an den Dicken erinnerte, der wusste, wie er hieß. Dann fiel ihm etwas ein, das Elvira neulich erzählt hatte.
    Marthaler schaltete seinen Computer an. Während er darauf wartete, dass sich die Verbindung zum Internet aufbaute, wählte er die Nummer seiner Sekretärin. Sie meldete sich sofort.
    «Du hast mir etwas von einem Klassentreffen erzählt, das du organisiert hast. Dass du fast alle Mitschüler gefunden hast, weiles im Netz eine Seite gibt, über die ihr Kontakt miteinander haltet. Du musst mir helfen.»
    «Willst du ebenfalls ein Treffen veranstalten?»
    «Nein. Es geht um den unbekannten Toten von Sultans Imbiss. Ich kenne ihn; er ist mit mir zur Schule gegangen.Aber mir fällt sein Name nicht ein.»
    «Verstehe», sagte Elvira, «die Seite heißt Schoolfriends. Schalt deinen Rechner ein und…»
    «Schon passiert.»
    «Such die Seite, dann musst du dich anmelden.»
    Marthaler folgte den Anweisungen auf dem Bildschirm. Zwei Minuten später war er Mitglied bei Schoolfriends. Nach wenigen Sekunden erhielt er eine E-Mail mit seinemPasswort. Er loggte sich ein.
    «Und jetzt?»
    «Jetzt suchst du deine Stadt und dann deine Schule.»
    «Moment… Okay, hab ich.»
    «Jetzt brauchst du nur noch deinen Abiturjahrgang einzugeben, und mit ein wenig Glück findest du den Mann.»
    Auf der rechten Seite des Monitors erschien eine Liste mit Namen.An einige erinnerte er sich, an andere nicht. Er konzentrierte sichauf die Männernamen. Einen nach dem anderen klickte er an und schaute auf die Fotos. Dann hatte er den vorletzten Namen erreicht.
    «Verdammt», schrie er ins Telefon.
    «Was ist?», fragte Elvira.
    «Verdammt, ich hab ihn. Es hat geklappt. Es ist der Dicke. Es ist unser Mann. Er hat zwei Bilder hochgeladen. Eines zeigt ihn als Schüler, das andere ist ein neueres Foto. Er heißt AchimMorlang.»
    «Wenn du willst, kannst du ihmjetzt eine Nachricht schickenund darauf hoffen, dass er sich meldet.»
    «Elvira, der Mann ist tot.»
    «Es sollte ein Witz sein, Robert.»
    «Gib den Namen bitte in unser System ein. Ich muss wissen, wo er gemeldet ist. Such auch nach Joachim Morlang. Er dürfte 1960 oder 1961 geboren sein.Zuerst will ich alle Adressen in

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