Partnerschaft und Babykrise
Peitsche hantierte, ein cholerisches, reizbares Geschöpf, das auch liebevoll ihm zugewandte und um sein Wohlergehen redlich bemühte Mitarbeiter ohne jeden erkennbaren Anlass in Grund und Boden schreit. Rechnen wir mit einem Baby wie mit einem Vorgesetzten, dem unser Wohlergehen gleichgültig ist, der Überstunden fordert, ob wir erschöpft sind oder nicht. Gewöhnen wir uns an ein anspruchsvolles Gegenüber, von dem wir nicht mehr Zuwendung erwarten als die schwäbische Ehefrau von ihrem Mann (»Wenn ich nix sag, passt’s!«).
Neulich sprach ich mit einer Kollegin, die über die Erziehung der Kinder im Dritten Reich forscht. Damals war Johanna Haarer die führende Ratgeberin. In ihrem Standardwerk über Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind empfahl sie, Säuglinge schreien zu lassen, um sie an regelmäßige Stillzeiten zu gewöhnen. Meine Kollegin verband diesen Rat mit dem Bestreben der Nazi-Autorin, die Mütter zur Produktion möglichst vieler Babys zu ermutigen.
Bis weit in die fünfziger Jahre hinein hielten sich Eltern an diese Ratschläge. Danach setzte sich allmählich die Überzeugung durch, es sei grausam, ein Baby schreien zu lassen. Parallel dazu entwickelte sich die Fütterung on demand. Meine Kollegin, 1947 geboren, erinnerte sich daran, wie ihre Mutter später erzählte, sie habe den Kinderwagen immer weitab
vom Haus in den Garten gestellt, um nicht durch Babygeschrei gestört zu werden. »Neurotischer als meine Patienten, die nach Bedarf gestillt wurden und den ganzen Tag auf dem Arm verbrachten, bin ich wohl auch nicht geworden«, sagte sie.
Wenn es für Erwachsene leicht wäre, ein Kind schreien zu lassen, hätten Sprüche wie »das kräftigt die Lungen!« niemals Konjunktur gehabt. Johanna Haarer müsste nicht so energisch für ihre strenge Haltung kämpfen und ihre deutsche Mutter gegen verwöhnende Großeltern wappnen, die so unmodern sind, ein schreiendes Baby aus dem Bettchen zu nehmen, auch wenn die Zeit der Fütterung noch nicht gekommen ist.
Die Bereitschaft, ein schreiendes Kind zu trösten, lässt sich so wenig abstellen wie die Voraussage zutrifft, schwere seelische Traumen seien die Folge, wenn Eltern nicht auf jedes Babyschreien reagieren.
Problematischer als einzelne Reibereien ist der Perfektionismus. Er kann zu Explosionen von Kränkung und Wut führen, die am Ende jene Babys gefährden, deren Eltern es besonders gut machen wollen. Es mag für die Entwicklung des Kindes günstiger sein, das Baby zu trösten und es nicht schreiend liegen zu lassen, bis der Fütterungszeitpunkt gekommen ist. Aber noch wichtiger ist es, das Baby wegzulegen, ehe die Aggression gegen den unersättlichen Störenfried alle guten Absichten entmachtet.
Der Mythos der perfekten Mutter
Bis in die Forschung hinein krankt die Diskussion über die beste Umgebung für das Baby an fürchterlichen Vereinfachungen, wie sie stets dort begehrt werden, wo emotionaler Druck traumatische Wucht gewinnt. Messen wir das Stress-Hormon bei Krippenbabys, vergleichen die Ergebnisse mit denen von Babys, die zu Hause gestillt werden und stellen fest, dass die Krippenbabys »objektiv« mehr Stress verkraften müssen? Oder, umgekehrt, studieren wir die geistige Entwicklung beider Gruppen, am besten mit Tests, welche auf die Frühförderung in der Krippe zugeschnitten sind, und finden heraus, dass die Krippenbabys in ihrer Intelligenzentwicklung vornedran sind? Können wir uns dann darauf verlassen, dass sie deshalb später in der globalisierten Konkurrenz Punkte machen?
Politiker wie Experten sind oft so von ihren Stoßrichtungen eingenommen, dass sie vergessen, derlei Oberflächlichkeit zu stoppen. Angesichts eines komplexen Geschehens wie der seelischen und körperlichen Entwicklung von Babys bedarf es beträchtlicher Distanz und Selbstkritik, um nicht grundsätzlich nur jene Forschungsergebnisse wahrzunehmen, welche die eigenen Vorurteile bestätigen.
Im Leben hingegen spielen alle Faktoren zusammen. Wer sich hier orientieren will, braucht nicht einzelne Ergebnisse, sondern einen Überblick. Dieser darf diesen Details nicht widersprechen, aber er muss sie gewichten.
Wenn wir die Forschungsergebnisse zur Frage der »Fremdbetreuung« gewichten und zusammenfassen, kommen wir
zu einem Ergebnis, das auch dem gesunden Menschenverstand einleuchtet:
Am besten gedeihen die Babys, wenn sie von einer zufriedenen leiblichen Mutter betreut werden.
Am zweitbesten gedeihen die professionell betreuten Babys einer zufriedenen
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