Partnerschaft und Babykrise
entwickelt, dass sie den Kopf aus eigener Kraft nicht halten können. Blutgefäße und Nerven sind so elastisch, dass in der Regel nicht viel passiert, wenn jemand einen Säugling ungeschickt trägt, sodass sein Köpfchen wegsackt.
Es gehören die Wucht und der Zorn eines psychisch überlasteten Erwachsenen dazu, um dem Baby das anzutun, was in den gerichtsmedizinischen Berichten als Schütteltrauma beschrieben wird. Die Halswirbelsäule wird überdehnt, Blutgefäße reißen, Wirbel brechen. Rudolf Wagner, Leiter des Fachkommissariats für die Misshandlung Schutzbefohlener in München, beschreibt die Folgen. In einem Fall riss die Brückenvene vom Auge zum Gehirn; das Baby wurde blind. Ein anderes Baby überlebte blind und taub; es kann nicht mehr schlucken und muss künstlich ernährt werden.
Die leichten Fälle werden häufiger als die tödlichen entdeckt. Wenn das Schütteltrauma auch das Atemzentrum lähmt, stirbt das Baby sofort. Da keine Verletzungen erkennbar sind, wird meist die Diagnose eines plötzlichen Kindstodes gestellt. Die Eltern haben dann meist schon vergessen, was sie vorher mit dem schreienden Baby gemacht haben. Sie in ihren Kummer hinein wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verfolgen, wird sich jeder Arzt überlegen, der den Totenschein ausstellen soll.
Denn die Eltern schütteln ihr Kind nicht, weil sie es schädigen
wollen. Sie verhalten sich wie enttäuschte Liebende. Das gibt unter Erwachsenen blaue Flecke an den Oberarmen und erlaubt die Entschuldigung, sich immerhin nicht geprügelt zu haben. Schütteln ist keine Gewalt, besagt die Selbstrechtfertigung. Es ist der Versuch, Verhältnisse zu bessern. Vom geschüttelten Baum fallen die Früchte.
Der psychologische Hintergrund ist eine brisante Mischung aus Abhängigkeit und Wut. Da ist jemand anders, als ich ihn mir wünsche, als sie oder er sein müsste. Ich brauche es aber so sehr, dass sie oder er meinen Erwartungen entspricht! Daher gehe ich mit ihm um wie mit einem defekten Gerät. Vielleicht ist es ja nur ein Wackelkontakt! Ich schüttle ihn mir zurecht, voller Hoffnung, dass danach alles so läuft, wie es laufen müsste.
Es gibt beschauliche Sprüche über das Leben mit Kindern. Einer davon lautet: »Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen!« Die Eltern möchten aus ihrem Schreibaby herausschütteln, endlich zu sagen, was es braucht und wohin es denn um alles in der Welt will. Sie würden ihm so gerne das Richtige geben, sie haben alles da, Fläschchen, Brust und Schnuller, Spielzeug so viel es gibt und die Bereitschaft, es herumzutragen und zu herzen.
Aber das Baby schreit und schreit. So kommt der Gedanke in den Elternkopf, dass da etwas falsch verdrahtet ist und durch energisches Schütteln an den richtigen Platz kommen soll. Gut geschüttelt, schon wird aus dem Schreibaby ein funktionierendes Kind, das den Eltern Freude macht, ihr Selbstgefühl stärkt und sie nicht mehr an Nachbarn denken lässt, die schon längst überzeugt sein müssen, dass die da drüben
schlechte Eltern sind. Sonst würde doch ihr Baby nicht so lauthals schreien.
Affekte um das Baby
Babyschreien direkt ins Elternohr übersteigt die akustische Schmerzgrenze. Es besetzt eine Frequenz, die uns nach den Forschungen der Wahrnehmungspsychologen am meisten an die Nieren geht.
Es ist kein kleines Wunder der Verleugnung, dass Eltern Babys als »süß« in Erinnerung behalten. Babys müssen sauer sein können. Das kleine Geschöpf ist ausgerüstet, um zu überleben. Es ist, als ob die Konstrukteure der Evolution eine Wahrheit berücksichtigt hätten, die heute von Medienwissenschaftlern gestreut wird: Es gibt keine schlechte Publicity!
Aufmerksamkeit zu gewinnen ist so wichtig, dass ein Baby alles tun muss, um das zu leisten. Wer nett und freundlich ist, gewinnt nur eine Hälfte der Aufmerksamkeit. Es funktioniert nur tagsüber, bei gutem Licht, niedlich zu sein und sich mimisch auszutauschen. Nachts hilft nur Geschrei, tagsüber ist es oft auch überlegen. Eine Mutter kann wegsehen, aber weghören kann sie nicht.
Wer nur freundlich ist und still, wird insgesamt weniger beachtet, weniger gestillt als das Kind, das durch süßes Lächeln und durch grausames Geschrei die Mutter nicht nur bezirzt, sondern auch einschüchtert, nervt und ängstigt.
Erst wenn wir uns einem realistischen Baby-Bild stellen, dürfen wir uns wieder auf angenehme Überraschungen gefasst machen. Erwarten wir also den schlimmsten Sklaventreiber, der je mit Zuckerbrot und
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