Partnerschaft und Babykrise
nicht nur verleugnet, sondern durch eine romantische Selbstidealisierung erhöht, die später, wenn das Paar zerfallen ist, wie Blei an den Partnern hängt. Wie haben sie sich erhaben gefühlt über andere, die sich über so erbärmliche Themen wie Geld oder Sex stritten, die Schwiegermutter an Heiligabend ausluden oder getrennte Schlafzimmer hatten!
In der seelischen Realität sind Beziehungen dann gut, wenn wir das von ihnen glauben. Wenn das Kind ein Bild malt, lächeln wir, sobald es dazu sagt, es sei das schönste der Welt. Wir verzeihen ihm, dass es sein Allerweltsgekritzel so aufwertet. Einen Kunstmaler, der mit derselben Geste auftritt, werden wir nicht so gnädig beurteilen.
Angesichts unserer Liebesbeziehungen ist es weise, die Überzeugung des Kindes zu behalten. Das eigene Kind, der/die eigene Geliebte sind die wichtigsten Menschen der Welt. Je besser es uns gelingt, den Glanz der Idealisierung über unsere realen Liebesverhältnisse zu gießen, desto wohler fühlen wir uns auch. Es gibt hier keine kritische Autorität, welche
über die Überzeugung der Beteiligten hinaus angefragt werden muss.
Kinder sind nicht perfekt. Sie bieten den Erwachsenen eine Chance, zu erkennen, wie hohl und einengend deren eigene Vorstellungen vom richtigen Leben sind. Wo diese Entwicklungsmöglichkeit von den Eltern nicht angenommen wird und die Erwachsenen erwarten, das Kind müsse sich ausschließlich an sie anpassen, wird dieses zu einem Härtetest für den Perfektionismus der Eltern.
Konflikthafte Kinderlosigkeit ist kein brauchbarer Ausweg aus diesem Härtetest. Sie belastet in der Regel das Paar noch mehr als ein Kind. Sie legt dem Partner eine Bürde auf, der sich ein Kind wünscht und keines haben soll. Sie verzagt angesichts der infantilen Macht der Symbiose und raubt den Partnern wichtige Entwicklungschancen.
Das gilt vor allem für die Beziehungen, in denen sich eine Frau ein Kind wünscht und ein Mann sie zum Abwarten nötigt. Er ist noch nicht soweit, er ist ja nicht grundsätzlich dagegen, aber bitte nicht jetzt und auch nicht in den nächsten Jahren und überhaupt zu keinem Zeitpunkt, der sich festlegen lässt! Ein Ultimatum sei doch eine sehr lieblose Sache, und wenn sie das nicht einsehe, bitte sehr, sie könne sich natürlich einen anderen suchen, das stehe ihr jederzeit frei.
Männer sind hier nur allzu bereit, ihre ganze Skepsis einer Partnerin aufzuladen. Es kann dann geschehen, dass sie die Bürde trägt, bis es für sie zu spät ist. Sie könnte freilich auch die Last abschütteln, ohne sein Einverständnis schwanger werden und nun den Mann nötigen, zu akzeptieren, was geschehen ist oder sich von ihr und seinem Kind zu trennen.
Annemarie und Klaus lernen sich kennen, als Klaus gerade frisch geschieden ist. Seine zwei Söhne leben bei ihrer Mutter. Klaus sagt Annemarie nachdrücklich, dass er auf gar keinen Fall noch einmal Kinder will. Wenn sie mit ihm etwas anfangen wolle, müsse klar sein: Feste Beziehung ja, Kinder nein. Annemarie steckt mitten in ihrer Weiterbildung zur Fachärztin. Sie kann sich gerade keine Schwangerschaft vorstellen und versichert Klaus, das sei kein Problem.
Fünf Jahre später ist sie dennoch schwanger. Sie habe, sagt sie, die Pille vergessen. Klaus glaubt ihren Ausreden nicht ganz, entwickelt sich aber zu einem begeisterten Vater. Als Annemarie ihrer besten Freundin gesteht, sie habe die Pille absichtlich abgesetzt, empört sich diese: Wie könne Annemarie mit dieser Lüge leben?
Klaus hat miterlebt, dass seine erste Ehe nach der Geburt von Kindern scheiterte; er will sich diesem schmerzlichen Prozess nicht wieder aussetzen und trifft rigide Vorsichtsmaßnahmen. Annemarie unterstützt ihn zuerst darin; als sich die Beziehung festigt und ihr Kinderwunsch stärker wird, greift sie zur egoistischen List. Die Moralistin wendet sich mit Grausen ab. Der Pragmatiker aber erkennt eine gewisse Gerechtigkeit darin, dass durch die heimliche Aktion nicht mehr die Frau, sondern der Mann dem Druck unterworfen ist, entweder eine Schwangerschaft zu akzeptieren oder sich zu trennen. Die meisten Väter können eine handfeste Wirklichkeit besser verarbeiten als die von Perfektionsansprüchen umwaberte Eventualität.
Diese Fallvignette, die auf Erfahrungen aus einer Therapie bei »Annemarie« beruht, erschien Anfang 2010 im Zeit-Magazin. Die Reaktionen mancher Leser waren extrem heftig, als hätte ich dieses Vorgehen nicht in seiner Ambivalenz diskutiert, sondern als richtig
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