Pas de deux
sie sich auf meinen, und ich hatte sie nicht darum gebeten –, betrachtete ich die Situation mit größter Gelassenheit. Was war daran eigentlich so außergewöhnlich? War das nicht der Lauf der Dinge? Hatte ich nicht endlich meinen Platz eingenommen? Ich war wie ein Rennfahrer, dem nach jahrelangem Training endlich ein Rennwagen anvertraut wird. Ich wußte mit geschlossenen Augen, wo sich die Knöpfe befanden. Ich verspürte keinerlei Unruhe. Ich hatte es nicht einmal eilig.
Ich wußte nicht, wie Edith darauf gekommen war, Anna habe den Charme eines Eiswürfels. Sie war auch mehr als nur lau, ihr Blick umhüllte mich wie eine Dampfwolke aus einem türkischen Bad, und durch den Arm, den ich um ihre Taille geschlungen hatte, stieg eine unglaubliche Milde auf, ein warmer Strom, der mich ganz weich werden ließ.
Ich war vorsichtshalber auf Mineralwasser umgestiegen. Und während ein wenig kühles Wasser in meine Kehle rann, fuhr ihre Hand in den Ausschnitt meines Hemds. Ihr erster Kuß nagelte mich an den Stuhl, kreuzigte mich mit einem Glück, das weniger in der Übung selbst – so versessen war ich nie darauf gewesen – als in ihrer Bedeutung bestand. Ich kam daraus hervor wie einer, der gerade getauft worden war, geblendet und dankbar, daß die Welt so war, wie sie war.
Dann führte ich sie auf die Tanzfläche. Eigentlich wollte ich mich nicht von ihren Küssen trennen, doch dieses schier endlose, nur von schmachtenden Blicken unterbrochene Knutschen überließ ich den Jüngeren, die sich daran bis zum Überdruß weideten. Mir war, als träten die anderen vor mir zur Seite, als stürze man herbei, um uns eine andere Platte aufzulegen, als betrachte man mich mit einer Mischung aus Eifersucht und Bewunderung. Ich fühlte mich in der Stimmung, freundliche Worte zu verteilen, mich zu sorgen, ob jeder seinen Spaß hatte, bei der geringsten Kleinigkeit zu lächeln.
Ich ließ Anna über meinen Kopf segeln, ließ sie zwischen meine Beine rutschen, ich wickelte sie um meinen Arm und ließ sie wirbeln wie einen lebenden Kreisel. Ich lachte in ihre Ohrmuschel, wenn ich sie an mich preßte. Sie war locker, geschmeidig, hinreißend. Blond, verführerisch, genau die richtige Größe, und ihr Gesicht strahlte, und ich konnte mich nicht erinnern, in meinem Leben jemals eine solche Freude empfunden zu haben.
Wir verschnauften im Schatten. Ich drückte sie gegen die Wand, schob meinen Oberschenkel zwischen ihre Beine und küßte sie auf Hals und Schulter, die ein weiter Ausschnitt meinen Lippen darbot. Zwischen ihrer Haut und ihrer Kleidung wogte ein zartes, duftendes Luftkissen, das mir direkt in die Nase stieg, also hielt ich mich da ein wenig länger auf.
»Mmmmmmm …« meinte ich entzückt.
»Und woher kommt’s?« sagte sie.
»Hmmm?«
»Ich stinke bestimmt nach Schweiß.«
»Aber nein, überhaupt nicht.«
»Doch.«
Dann fügte sie, als ich weiter den Kopf schüttelte, in halb gekränktem Ton hinzu: »Wirklich nicht? Bist du ganz sicher?«
Noch kapierte ich nicht so recht, was sie da trieb. Aber ich denke mir, daß sie sich unmittelbar an mein Unterbewußtsein wandte, denn anstatt sie endgültig zu beruhigen – ich beabsichtigte ihr gewisse Wohlgerüche aufzuzählen, die mir durch den Kopf gingen –, hörte ich mich sagen, das sei nicht schlimm, wegen so ’nem bißchen würd ich mich doch nicht aufregen, vor allem, wo ich selbst …
Sie starrte mich an und drückte meine Hand. Mir ging immer noch kein Licht auf. Trotzdem spürte ich undeutlich, daß ich mir meine blöden Fragen verkneifen mußte. Wenn man an eine solche Maschine kommt, fragt man nicht als erstes, wo die Bremsen sind. Es war einer meiner Geniestreiche an diesem Abend, daß ich ihr ein verständiges Lächeln schenkte.
»Hättest du Lust?« murmelte sie.
»Versetz dich in meine Lage …« antwortete ich.
»Jetzt?«
»Wozu warten?«
Es gab kein Entrinnen mehr, jetzt, wo’s drum ging.
Aber manchmal kann man sämtliche Risiken dieser Welt eingehen, und das Glück ist einem hold.
»Dann komm …« forderte sie mich auf.
Es handelte sich also darum, irgendwohin zu gehen.
»Ich folge dir«, bekräftigte ich.
So blieb es mir erspart, mich mit dieser Horde von Schwachköpfen anlegen zu müssen – Typ ›Knickerbocker‹ und ›Tag Jungs‹ –, die sich um den Plattenspieler kümmerten und offenkundig die französischen Versionen liebten, diese beschissenen, in irgendwelchen Sanatorien aufgenommenen Kopien, die einem so siegesgewiß kredenzt
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