Pas de deux
Aber er rührte sich nicht und schwafelte weiter über Shakespeare und Yates, ich traute meinen Ohren nicht. Und da er sich kurz zuvor über Proust und den symbolistischen Roman ausgelassen hatte, glaubte ich mich – in Anbetracht dessen, daß er vor mir gekommen war und sie ihm immer noch zuhörte – auf ihn verlassen zu können.
»Natürlich ist die englische Versbildung viel reicher als die russische …« sagte er.
»Pardon …« sagte ich und beugte mich zu ihm hinüber. »Dem kann ich nicht zustimmen. Wenn man die beiden vergleicht, sollte man keineswegs außer acht lassen, daß schon im Französischen das Wort ›russe‹ nur eine einzige betonte Silbe hat. Wir stoßen da auf einen fundamentalen Punkt, der …«
Sie sprang auf. Während ich ihr mit großen Augen nachblickte, räusperte sich der Schnauzbärtige: »Rmm … Ich meine aber doch, wenn man die Metrik betrachtet …«
»Mag sein. Lassen wir das.«
Ich ließ ihn meinerseits sitzen. Das war eine richtige Katastrophe. Ich hätte den ganzen Eugen Onegin dafür gegeben, diese Geschichte wiedergutzumachen. Wie es jetzt aussah, drohte das Wochenende zur Hölle zu werden.
Sie hieß Anna. Flo hatte mich gefragt, während ich ihr in der Küche half: »Na, wie weit bist du mit Anna?« Ich hatte höhnisch gekichert und dabei die Tristesse der kalten Bratenscheiben betrachtet, die sich an den Rand eines Tellers schmiegten. David hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt und mich regelrecht erdolcht. »Findest du dein Glück?« hatte er mir zugeraunt. Und dreimal hatte ich Annas Blick aufgefangen, eine dunkle, eisige Wüste.
»Ich red mal mit ihr«, erbot sich Edith.
»Nein, du brauchst nicht mit ihr zu reden. Ich hab dir das nicht erzählt, damit du dich einmischst.«
»Sag mal …« stöhnte sie. »Meinst du, ich bin blöd? Ich will sie mir nur näher ansehn und dir sagen, wie ich sie finde.«
»Ach was, da halt ich nicht viel von.«
Ich wußte, daß ich sie sowieso nicht daran hindern konnte, ob mir das paßte oder nicht. Sie stand also auf. Da ich mir das nicht ansehen wollte, kehrte ich in die Küche zurück, um wenigstens einen Happen zu essen. Ich traf auf Oli und seine Freundin. Sie fanden alles wunderbar, während es für mich nichts gab außer Black and White. Oli lächelte mich dann und wann an, sagte aber keinen Ton, und ich hätte nicht darauf geschworen, daß er mich überhaupt erkannte. Oder war ich unsichtbar geworden, ich mit meiner Pechsträhne, während Edith und er seit einiger Zeit in lauwarmer Milch badeten und um die Wette turtelten?
Ich ging ein wenig tanzen, um ihm meine Gegenwart zu ersparen, bevor er noch vor lauter Mühe, mir mein Schicksal mit Worten zu versüßen, erstickte. Ich geriet an eine plumpe Partnerin mit Söckchen, Haarreif und einem Pullover, der über ihren Hintern ging. Ich vermied es, sie anzuschauen, und hielt mich bereit, sofort wegzurennen, wenn ein Slow kommen sollte.
Ich fragte mich, was die zwei wohl zu bequatschen hatten. Sie saßen abseits, jede eine Schulter an der Wand, und das mußte etwas Ernsthaftes sein, denn niemand näherte sich ihnen, obwohl sie die beiden schönsten Mädchen des Abends waren.
David kam und fragte mich mit halbvollem Mund, was die beiden zu tuscheln hätten.
»Edith will mir sagen, was sie von ihr hält«, murmelte ich.
»Mmm … An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, wenn ein Mädchen seine Meinung über ein anderes sagt.«
»Keine Bange. Da scher ich mich nicht drum.«
Er warf ihnen einen Blick zu, dann nickte er: »Wie auch immer … Ich muß zugeben, die ist nicht übel.«
»Pah, noch hat sich nichts getan. Ich hab mich noch nicht entschieden.«
»Du, hör mal, ich hab das Gefühl, die ist ’ne große Nummer. Paß auf, wo du hintrittst, mach mal sachte …«
»Jaja. Ich würde sagen, ich bin halbscharf …«
Plötzlich fing es an zu regnen, als wäre eine Welle über das Dach des Hauses hereingebrochen. David empfahl mir die Sandwichs mit der Pastete. Noch einer, der sämtliche Mädchen hatte, die er haben wollte, der sich seinen Bärenhunger nicht verderben ließ. Er war jetzt sechs Monate mit Edith zusammen, und ich hatte in der ganzen Zeit keine einzige aufgegabelt. Vielleicht machte er sich allmählich Gedanken über mich, wer weiß? Tatsächlich war ich in letzter Zeit ein wahrer Unglücksrabe gewesen. Ich wollte zu hoch hinaus, tat so, als ginge es um mein Leben, und ich wollte welche, die mit einem ins Bett stiegen, keine dieser dummen Gänse, die
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