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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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all das reden wir noch. Lassen Sie es sich gutgehn, Henri-John. Kommen Sie bestens erholt zurück. Und halten Sie mich auf dem laufenden.«
    Wenigstens einer, der nicht nachtragend war. Und intelligent genug, um einzusehen, daß ein Streit wie der um die Haartrockner – und im Laufe der letzten fünf Jahre hatten wir noch ein paar mehr ausgefochten – uns zwar entzweien, ja dazu bringen konnte, einander an der Gurgel zu packen, ohne daß jedoch derlei Auseinandersetzungen ins Persönliche ausarteten. Und so war ich letztlich zu dem Schluß gekommen, daß er mich tatsächlich schätzte, daß ich in seinen Augen mittlerweile etwas mehr war als nur Ediths Mann.
    Im übrigen begeisterte mich die Vorstellung, für das Sinn-Fein-Ballett zu arbeiten, auch nicht mehr als eine mögliche Rückkehr nach Saint-Vincent. Aber ich hatte noch über einen Monat Zeit, mich zu entscheiden .
    Wir flogen nach Charlestown in South-Carolina. Kurz vor der Landung gerieten wir in ein heftiges Gewitter. Es war Nachmittag, aber der Himmel war urplötzlich schwarz geworden, und niemand strolchte mehr durch die Gänge, so sehr wurden wir durchgeschüttelt. Das Licht ging aus, dann flackerte es makaber wieder auf. Wenn wir im Dunkeln saßen, zuckten Blitze an den Fenstern, und ich sah, daß der linke Flügel der Maschine wie eine Messerklinge funkelte, die schlecht in der Scheide saß und vibrierte.
    Ich hatte Odile neben mir, ganz zufällig dieselbe, deren Unterkühltheit ich kritisiert hatte und von der Jérémie glaubte, er könne sie auf den rechten Weg bringen. Wir hatten seit dem Abflug höchstens ein paar Worte miteinander gesprochen. Ich kannte sie nicht besser und nicht schlechter als alle anderen, mit anderen Worten sehr wenig, aber ihre Nägel bohrten sich in meinen Unterarm. Sie hatte ihn sich fünf Minuten zuvor gekrallt, bei einem jähen Schlenker, der ein entsetztes Geschrei von der Ersten bis zur Economyklasse hervorgerufen hatte. Ich schätzte das genausowenig wie jeder andere, aber ich hatte zwei, drei Gläser intus und eigentlich nicht das Gefühl, daß mein Ende nahte.
    Natürlich bedachte auch ich den Typen von der Besatzung mit einem sonderbaren Blick, als er den Teppichboden des Mittelgangs aufriß. Anscheinend hatten wir ein Problem mit dem Fahrgestell, und der Kerl versuchte an irgendwas ranzukommen und fluchte lautlos vor sich hin.
    Statt mir das anzugucken, widmete ich mich lieber meiner Nachbarin, die sich an mich zu schmiegen suchte. Sie war nicht die einzige, der der Spaß am Fliegen vergangen war. Mein Nebenmann auf der anderen Seite des Gangs war in Erwartung des Crashs bereits eingeknickt wie ein Klappmesser, und vor mir umschlangen sich zwei Tänzer. Ich hatte schon lange keine Frau mehr in meinen Armen gehalten, und trotz dieser apokalyptischen Atmosphäre dachte ich an nichts anderes. Die absolute Gewißheit – gepaart mit meiner leichten Trunkenheit –, daß ich nicht bei einem Flugzeugabsturz den Tod finden sollte – zumal der Teppichbodenschlitzer etwas gefunden zu haben schien –, erlaubte es mir, die Situation voll und ganz zu erfassen. Sie hatte, den Anweisungen zum Trotz, die an der Decke blinkten, ihren Gurt ausgeklinkt und bequemlichkeitshalber die Armlehne zwischen uns hochgeklappt.
    Wie gesagt, ihr Stil war kühl, ihr Körper hatte jedoch die richtige Temperatur. Ich hatte einen mitfühlenden Arm um ihre Schulter gelegt, und ich spürte ihre Brust, die in ihrem Entsetzen mehr und mehr gegen meine Seite glitt, spürte ihre Hände, die sich um mich schlossen, und den Hauch ihres Atems an meinem Hals, während sie den Allmächtigen anrief und wir in der stürmischen Finsternis oberhalb des Flughafens von Charlestown kreisten, mitten in einem Unwetter, bei dem selbst die Stewardessen mit verzerrtem Gesicht die Hände rangen und eines der Besatzungsmitglieder mit einer Kurbel das Fahrwerk ausfuhr. Ich hatte das Fläschchen Gin, das ich in Reserve hatte, mit einem Zug geleert, denn ich war weniger Herr meiner selbst, als ich vorgab: Ich wußte nicht einmal, wohin ich meine Hände legen sollte, ich wagte es nicht, bei dieser natürlichen und von keinem Hintergedanken getrübten Umarmung mitzumachen, in die man sich mit seinem Nachbarn, und sei es ein Fremder oder gar eine hübsche Frau ohne Begleitung, flüchten kann, wenn die Stunde des Todes zu schlagen scheint.
    Ihre Haare dufteten angenehm. Als das Flugzeug vornüberkippte und sie mir ihren Nacken darbot, hatte ich Lust, meine Lippen darauf zu

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