Pas de deux
vorbei war, fragte ich mich, was ich mir nur erhofft hatte. Mein einziger Trost war, daß wir nur einen unerfreulichen Abend verbracht hatten, obwohl ständig eine Katastrophe gedroht hatte. Annas Mutter fand, ich sei grau im Gesicht, so daß sie mir das Abwaschen ersparen wollte, aber ich bestand darauf. Sie mochte mich. Verzweifeln ließen sie lediglich mein Alter sowie der Umstand, daß ich keine gesicherte Existenz hatte oder auch nur eine einigermaßen klare Vorstellung, was ich werden wollte. Weil sie unsere Beziehung nicht ernst nahm, redete sie um so leichter mit mir über Anna. Die Verrückte heulte sich an meiner Schulter aus, war untröstlich, daß ihre Tochter mit sechsundzwanzig noch keinen Firmenchef oder hohen Beamten geehelicht hatte. »Ach, Henri-John!« seufzte sie, hielt meine Hände und preßte sich auf dem Sofa an mich. »Henri-John, mein Junge, wann wird es endlich soweit sein, daß sie jemanden trifft?!« Ich konnte sie nicht mehr ausstehen. Ich bekam eine Gänsehaut, wenn sie mich berührte, und ich war stets auf dem Sprung, um schleunigst zu verschwinden, falls sie den Verstand verlor. Als ich eines Tages blau war, hatte ich eine Hand zwischen ihre Beine geschoben. Die meisten von Annas Freunden konnten das gleiche erzählen, einige behaupteten sogar, sie sich zu mehreren vorgenommen zu haben. Das war durchaus möglich. Das waren Typen, die mitten im Winter an die Küste fuhren, den Sportwagen voller Mädchen. Sie redeten über Orte, die ich nicht kannte, von der Marke ihrer Schuhe oder von ihrer neuen Armbanduhr, schnallten sie sogar ab, damit ich sie in Augenschein nehmen konnte. Ich versuchte mich für ihre Geschichten zu interessieren, ich tat es für Anna, um ihr einen Gefallen zu tun, aber wie oft wäre ich fast vor ihren Augen eingeschlafen, wie oft war ich aufs WC geflitzt, um mich ihren Gesprächen zu entziehen, welche Unmengen von Langeweile vermochten sie zu verbreiten, daß es einen fast umhaute?
Edith hatte keine Minute gebraucht, um sich zähneknirschend nach mir umzudrehen. Im gleichen Moment hatte ich meinen Irrtum erkannt.
»Deine Freunde haben nichts gegessen«, sagte Annas Mutter zu mir.
»Ja, sie hatten keinen Hunger.«
»Sie haben sich doch nicht gelangweilt?«
Sie war hier zu Hause. Ich konnte sie nicht aus ihrer eigenen Küche rauswerfen.
Oli hatte kaum ein Wort mit mir gewechselt. Wir hatten uns zur Begrüßung ziemlich linkisch geküßt, dann hatte ich ihn inmitten dieser Idioten zurücklassen und mich um weiß der Himmel was kümmern müssen, und ich hatte ihn nicht mehr wiedergefunden, das heißt, er war nicht mehr der selbe.
Ich stand von Anfang an im Kreuzfeuer. David war der einzige, der mir ein wenig Sympathie bezeugte und aufpaßte, daß die Sache kein allzu schlimmes Ende nahm. Sicher, das war ziemlich dumm von mir, aber ich hatte gedacht, Edith und Oli wären vor Freude über unser Wiedersehen ganz gerührt und würden kaum auf die Leute um uns herum achten. Das Gegenteil trat ein. Ich wußte nicht einmal, ob sie mich angeschaut hatten. Wenn es mir gelang, ihnen ein Wort zuzuraunen, hörten sie nicht hin, sie beobachteten die Versammlung mit frostigem Blick, lehnten es ab, sich von mir ein Glas kredenzen zu lassen oder auch nur einen Happen zu essen. Die anderen kamen mir noch hohler, noch scheußlicher vor als sonst.
Man mußte schon früh aufstehen, um die beiden mit Themen wie Tanz und Theater in die Enge zu treiben. Zu Hause gingen so viele Künstler ein und aus, daß es nicht viele Aufführungen und so gut wie keine Ausstellung gab, von der sie nicht wußten, sie konnten einem sogar sagen, was es in einem halben Jahr zu sehen gab, woran Godard, Rauschenberg oder Planchon gerade arbeiteten. Andererseits wußten sie nichts über die Riviera, über Rolex-Uhren oder die Neuheiten des letzten Autosalons, so das neuste Modell von Aston Martin, den DB4 als Cabrio. Jedesmal, wenn einer dieser fürchterlichen Taubstummendialoge zwischen den einen und den anderen losging, kreuzte ich zu Tode betrübt auf und ließ mich mittendrin zerquetschen. Ich lächelte blöde, und der Schweiß rann mir zwischen den Schulterblättern hindurch. Ich schliff mit bloßen Händen die Kanten ab und litt stumm, ich war die Mauer, die von beiden Seiten bepinkelt wurde und die mörderischen Gedanken abfing.
Ich war immer noch fix und fertig. Mir wurde schlecht, wenn ich nur an die hübschen Bilder dachte, die mir vor ihrem Besuch durch den Kopf gegangen waren, an all den
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