Pas de deux
nur zu gut. In den schlimmsten Augenblicken fühlte ich mich wie ein tollwütiger Hund, aber ich sagte nichts, ich schaffte es nur, ihr die Hand zu lecken, denn sie konnte mich mit einer simplen Handbewegung töten. So stand es um mich. Deshalb wurde ich zum Schweiger, deshalb machte ich nicht den Versuch, mich loszureißen. Ich wollte mich nicht losreißen. Zumal sie obendrein ein verdammt schönes Mädchen war.
Kurz und gut, ich verhehlte mir nicht, daß meine Empfindungen verworren waren. Und Annas Empfindungen mir gegenüber waren es bestimmt auch. Kaum erhoben wir uns von unserem Bett, in dem ein übernatürlicher Frieden herrschte, übernahm ich eine Doppelrolle: die des Typen, der ich war und der ihr oft genug auf die Nerven ging, und die jenes anderen, der ich sein sollte und den sie mit unerschütterlichem Glauben verhätschelte. In einer Mischung aus Glück, Berechnung, Trägheit und Feigheit schaffte ich es, beide Rollen zu erfüllen, was bei ihr widersprüchliche Aufwallungen auslöste. So konnte sie morgens türenschlagend aus dem Haus gehen – »Das wird nie was mit uns beiden! Du solltest zu deiner Mutter zurückgehen!« –, um im Laufe des Tages völlig umzuschwenken: »Ich bin stolz auf dich, weißt du das? Du hast dich in ein paar Monaten dermaßen geändert!«
In der Woche nach ihrem Geburtstag machte ich meinen Führerschein. Bei solchen Dingen, die kaum der Rede wert waren, betrachtete sie mich mitunter mit vor Bewunderung leuchtenden Augen, aber wenn ich versuchte, ihr ein Sonett zu schreiben, stöhnte sie nur und behauptete, über das Alter sei sie hinaus. Wir hatten in diesem Jahr einen wunderbaren Herbst, ein lauwarmer Wind strich über das Land, und die Wochenenden schienen geradewegs dem Paradies zu entstammen. Sie ließ meine Hände nicht mehr los. Sie taumelte beinahe in der Tür, völlig aufgewühlt, daß ich zu einer solchen Glanzleistung fähig war. Ich dachte, sie macht sich gleich in die Hose. In ihrem Alter.
Am Samstagmorgen fanden wir uns bei Tagesanbruch im Wald von Rambouillet ein. Ich steuerte unser neues Auto, einen nagelneuen Käfer. Annas Hand lag auf meinem Oberschenkel.
Zur Feier des Tages hatte sie mir eine leichte Stoffhose, eine Sonnenbrille und ein enges weißes Polohemd gekauft. Ich fühlte mich darin zwar nicht so wohl wie in meinen Alltagsklamotten, aber ich stand noch ganz unter dem Eindruck des Abends, den mir Edith und Oli beschert hatten, und ich brachte nicht die Kraft auf, mich zu widersetzen.
Sie war aufgekratzt, nervös. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, wir würden diese Rallye gewinnen oder zumindest unter den Erstplazierten sein. Ich hatte ihr versichert, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. An diesem Morgen waren so viele Idioten versammelt, daß ich bereit war, ein Handicap zu akzeptieren.
Sie fuhren allesamt einen MG oder eine Kiste ähnlichen Kalibers. Ich begnügte mich damit, das schönste Mädchen der ganzen Bande zu haben. Das verlieh mir einen besonderen Status, bewegte sie dazu, mich unter ihnen zu dulden, auch wenn Anna ihrer Meinung nach ziemlich auf Junggemüse stand. Ein paar von ihnen lungerten stets um sie herum, aber selbst wenn sie mich unter diesen Umständen ein wenig links liegenließ, hieß das nicht, daß mein Platz frei war. Niemand wagte mich in ihrer Gegenwart zu kritisieren. Diejenigen, die sich darin versucht hatten, trauten sich nicht noch einmal. Sie duldete nicht, daß mir nur ein Haar gekrümmt wurde, daß irgendwer gegen mich stichelte – das war allein ihr Recht, von dem sie jedoch nur Gebrauch machte, wenn wir allein waren. Ich wußte nicht, was sie mir andichtete, aber eins war sicher: Ich kam gestärkt aus diesen Geschichten hervor. Ich hatte das ziemlich eindeutige Gefühl, daß ich für einen Großteil der Horde ein Rätsel war. Ich war offensichtlich kein normaler Teenager, einer ohne einen Pfennig und dazu recht verschlossen – ein Exemplar, das völlig uninteressant war und ebensoviel Chancen hatte, sich in ihren Kreis zu drängen, wie ein algerischer Partisan bei einer Versammlung der OAS. Ich war, gegen alle Logik, wider alles vernünftige Erwarten, derjenige, den Anna erwählt hatte. Wahrscheinlich ging das Gerücht, ich hätte sie verhext oder ich sei ein Genie oder ein Bumser erster Güte. Manchmal fragte ich mich, ob dem nicht ein Fünkchen Wahrheit innewohnte.
Die ganz großen Heuchler rückten ein paar höfliche Komplimente bezüglich unserer Neuerwerbung heraus. Einige andere nahmen
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