Pas de deux
Zinnober, den ich veranstaltet hatte. Sie hatten mir keine Chance gegeben, mich mit ihnen auszusprechen. Selbst Sylvie, Olis Freundin, die mir so gut wie alles verdankte, da ich ihn in ihre Arme getrieben hatte, hatte mir, als sie aufbrachen, einen verächtlichen Blick zugeworfen.
Während ich das Geschirr abspülte, hörte ich Anna und ein paar andere im Wohnzimmer reden. Einzig ihre Mutter brachte noch ein gewisses Interesse für mich auf. An dem prüfenden Blick, den sie auf mich warf, sah ich, daß ich noch zu etwas gut war. Henri-John Benjamin: Arschkriecher und Ficker bejahrter Flittchen. Sie hatten mich seelisch auf den Nullpunkt gebracht.
Sie schafften sogar noch mehr. Alle, die sie da waren. Ich wurde wortkarg. Ich wachte nachts auf, und ich fragte mich, ob ich mich wirklich geändert hatte, ob ich die Verachtung verdiente, die mir Edith und Oli entgegengebracht hatten. Ich dachte den ganzen Tag darüber nach, ich brütete über diesem Problem, und mal gab ich ihnen recht, mal schickte ich sie zum Teufel, und Anna schien zu spüren, daß etwas nicht stimmte, denn sie ließ mich in Ruhe und fiel nicht mehr bei jeder Gelegenheit über mich her. Für ihre Freunde hatte ich nur noch einen selbstgefälligen Blick übrig, langsam kotzten sie mich wirklich an.
Von diesem Tag an war mir die Gesellschaft anderer ebenso unangenehm wie die Einsamkeit. Ich wünschte keinen mehr zu sehen. Ich mochte niemanden mehr. Weder die, die sich von mir losgesagt hatten, noch die, die mich dorthin gebracht hatten, wo ich war. Und ich taugte auch nicht viel mehr. Ich hatte es nicht anders verdient.
Trotz allem war ich unfähig, das Leben zu ändern, das ich führte. Wenn ich mich umsah, hatte ich den Eindruck, die meisten Leute saßen ebenfalls in der Falle. Und ich hielt mich nicht für schlauer als andere. Wenn ich zu deprimiert war, sagte ich mir ein paar Verse von W. H. Auden auf: »We’re all stars to disappear or die, / I should learn to look at an empty sky, / And feel its total dark sublime, / Though this might take me a little time.« Oder ich ging ins Kino, denn das war der einzige Augenblick, wo mein Geist seinen Frieden fand. Zwei-, dreimal die Woche guckte ich mir die West Side Story an, wie ein Rheumakranker, der zu seinem Schlammbad kriecht, oder ein Kind, das die Röcke seiner Mutter sucht. Ich dachte an nichts mehr, wenn sie anfingen zu tanzen. Manchmal leistete ich mir mehrere Vorführungen nacheinander.
Ich war auf dem absteigenden Ast, versuchte aber nicht, mich aufzuraffen. Wenn ich mir ein Buch nahm, zog es mich meist zu verzweifelten Autoren hin, zu den Zartbesaiteten oder Selbstmordkandidaten. Nicht daß derlei Gedanken in mir reiften, aber ich teilte ihre Auffassung vom Leben, ich verstand, was sie meinten. Seit ich mit Anna zusammen war, hatte ich niemand anders mehr, mit dem ich mich unterhalten konnte, und unsere Interessen wichen oft voneinander ab. Ich hatte keinen einzigen Freund. Nicht selten redete ich den ganzen Tag kein einziges Wort. Wenn ich mich abends ans Klavier setzte, zerfloß so mancher Besoffene zu Tränen, und die Frauen schauten mich an, als wollten sie mich an ihre Brust drücken. Einige schritten gar zum Klavier, boten an, mich zu trösten. Sie sagten: »Du armes Mäuschen …« oder »Mein armer Schatz, ist dein Herz gebrochen?« Es war nicht gebrochen, es war leer und ausgedörrt und enttäuscht. Mir fehlte nicht, was sie mir anboten, ich hatte meine allabendliche Session. Und sie waren weder hübsch genug, mich in eine Affäre zu locken, noch jung genug, mir ein wenig Luft zu verschaffen.
Meine Talfahrt hatte nicht erst am Morgen nach Annas Geburtstag begonnen. Ediths und Olis Verhalten gab mir zu denken, und ich bemerkte – in Wirklichkeit handelte es sich nur darum, sich nicht mehr der Wahrheit zu verschließen –, daß die Dinge schon seit einiger Zeit im argen lagen. Wie weit lag der Tag zurück, an dem ich zuletzt ein wenig Schwung verspürt hatte, an dem ich lächelnd die Augen aufgeschlagen hatte? Wie weit das letzte Gespräch mit Anna, in dem es nicht um unsere beknackten Pläne ging? Ohne es zu merken, hatte ich mich an die Einsamkeit und an das Schweigen gewöhnt. Tag für Tag hatte ich mich mehr in mich zurückgezogen, und schließlich hatte ich alles hingenommen und nichts mehr gesehen, zumindest nicht mehr, als ich wünschte.
Jetzt wußte ich, woran ich war. Das bewegte mich jedoch nicht zu einer Reaktion, sondern betäubte mich nur noch mehr. Jeden Morgen
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