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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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wurden ganze Heerscharen wach, stellten fest, daß ihr Leben mittelmäßig war, und doch ertönte auf den Straßen keinerlei Geschrei, stürzte sich kaum jemand aus dem Fenster. Ich war sicher nicht der einzige, der nachts wach wurde und die Welt so sah, wie sie war, und nichts mehr dazu zu sagen wußte. Die Typen, die ich las, führten mir vor Augen, wieviel Scherereien einen da erwarteten. Statt mir also die Haare auszuraufen, nahm ich die Dinge lieber mit philosophischer Gelassenheit: Ich war nur ein Trottel unter vielen. Jeder Anspruch, sein Los zu überwinden, war nur ein lächerlicher Anflug von Eitelkeit. Meine Lage war keineswegs glänzend, aber zeugte es nicht von einiger Größe, sich damit abzufinden?
    Wie dem auch sei, mir blieb Anna. Und im Grunde waren mir weder das Gespräch mit ihr noch ihre Umgebung wichtig. Ich verstand nicht, was sie wollte, scherte mich eigentlich nicht darum. Ich wußte nicht, wie sie darauf kam, Typen wie Piazzolla oder Aaron Copland hätten bei Nadia Boulanger Unterricht genommen – und ich sah da auch keinen Zusammenhang –, aber manchmal gab sie mir zu verstehen, daß wir in ein paar Jahren durch die Welt reisen würden und daß ein Klavier mehr einbringen konnte als eine Konservenfabrik. Wir hatten überdies eins gemietet. Im Hinblick auf die Anschaffung unseres neuen Autos hielt sie uns zwar knapp bei Kasse und brachte unser Geld schleunigst zur Bank, ohne daß ich etwas davon zu sehen bekam, aber auf dem Klavier hatte sie bestanden, und meine Kurse zahlte sie, ohne zu murren. Darüber hinaus nahm ich Fahrstunden. Solche Dinge waren selbstverständlich, wurden nicht erörtert. Von Zeit zu Zeit erinnerte sie mich an die Opfer, die sie meinetwegen brachte, selbst wenn ich nichts tat oder sagte, was irgendwie als Undankbarkeit ausgelegt werden konnte. Ich kaufte mir nichts, ich stahl die Bücher, die mich interessierten, und ich ging zu Fuß. Ich wollte ihre Pläne nicht sabotieren. Ich schätzte mich glücklich, daß meine Meinung nicht gefragt war, wenn es um unsere Angelegenheiten ging. Ich wäre unfähig gewesen, den geringsten Zukunftsplan zu schmieden, meine Gedanken zerstoben, wenn mir das Thema nur in den Sinn kam. Anna hatte diese Probleme offenbar nicht. Allerdings redete sie nie offen oder direkt darüber, sie tat so, als hätten wir die Sache lang und breit diskutiert und als erübrigte sich jedes weitere Wort. Hin und wieder bequemte sie sich beiläufig zu ein paar Hinweisen, die jedoch einem solch gewaltigen, mir schleierhaften Gesamtkomplex angehörten, daß ich kaum hinhörte. Sprach sie zu mir vom Jenseits, von einem anderen Leben, von etwas, was ich nicht kannte und was für mich ohne jedes Interesse war?
    Dennoch klopfte mein Herz, wenn ich abends zurückkehrte. Ich konnte nichts dagegen machen. Keine Reflexion hielt dem stand. Und das war nicht so sehr der Gedanke an die Session, die mich erwartete, denn unsere ersten Tage hatten wir hinter uns, und mittlerweile kriegte ich nicht mehr wie besessen schon auf der Treppe einen hoch. Es ging darum, sie in meinen Armen zu halten. Ihren Atem in meinen Haaren zu spüren, wenn ich die Augen schloß und mich die wunderbarste und sanfteste und makelloseste Dunkelheit umfing. Das lag nicht an Anna. Es handelte sich um eines der Geheimnisse dieses Lebens.
    Ich fragte mich nicht, ob ich das gleiche bei einer anderen finden konnte. Ich war gerade achtzehn Jahre alt. Diese Augenblicke, wenn ich die Nase in ihrer Brust vergrub, fegten alles andere beiseite. Ich klammerte mich daran, und das war eher eine Sache des Instinkts als sexuelle Hörigkeit oder Gefühlsduselei. Was mir, soviel ich sah, mehr als alles andere den Kopf verdrehte, war die Tatsache, daß ich mit einer Frau zusammenlebte. Ich wußte nicht, was mir das eigentlich gab – und alles deutete darauf hin, daß es mich nicht bereichert hatte –, aber ich wußte, daß ich das brauchte. Und unter diesen Umständen konnte ich sie ruhig von Zeit zu Zeit verfluchen und während ihrer Abwesenheit gegen die Möbel treten. Ich konnte sie kritisieren, ihre Freunde und ihre Mutter verabscheuen, ich konnte sie beschissen finden, egoistisch und oberflächlich und in einem Maße prosaisch, daß es nicht mehr wahr sein konnte. Ich konnte sie noch so ruhig anschauen, wenn sie beschäftigt war, sie noch so kühl beobachten und mich fragen, was ich hier eigentlich verloren hatte – ich wäre ihr trotzdem zu Füßen gekrochen, wenn sie zur Tür gezeigt hätte, ich wußte es

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