Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
trug mich zu den anderen.
    »Sieh mal, Henri-John!« flüsterte er mir zu.
    Wir standen auf einer Felsnase hoch über dem Tal. Ringsum glänzten verschneite Berge, sie funkelten unter dem Mond wie ein riesiger Tresor, der unter freiem Himmel geöffnet wurde, und das in einem Maße, daß ich mich auf meinem Hochsitz wand und die Augen aufsperrte. Aber auch die anderen waren beeindruckt, sie redeten mit leiser Stimme oder lächelten verklärt.
    Als Georges das Zeichen zum Aufbruch gab, kam Elisabeth Benjamin, meine Mutter, und fragte mich, ob alles klar sei – sie hatte Glück, daß ich kein Beutel oder Regenschirm war, sonst hätte sie mich so oft vergessen, daß wir in ganz Europa berühmt geworden wären.
    Georges setzte mich ab, bevor er in den Wagen stieg. Er legte seine Hände auf meine Schultern und sagte zu mir:
    »Paß auf … Mit Edith und Oli geht das nicht, aber einen von euch brauche ich … Das ist ihre Mutter, verstehst du … Für dich ist das was anderes, und du bist fast schon ein Mann. Du kannst auf deinen Platz zurück, sobald wir drüben sind …«
    Ich verstand nicht, was er von mir wollte, aber ich spürte, daß er mich einwickeln wollte, und das verhieß nichts Gutes. Die anderen waren schon wieder eingestiegen, und ich hatte es eilig, ihnen zu folgen.
    »Wir haben dir ein Bett gemacht«, fuhr er fort und verstärkte den Druck seiner Hände. »Henri-John, das ist die einzige Möglichkeit, ohne Probleme rüberzukommen. Du willst doch nicht, daß ich ins Gefängnis gesteckt werde, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf, denn er erwartete offensichtlich eine Antwort.
    »Sehr gut. Wunderbar, mein Junge. Du hast wahrscheinlich gemerkt, daß es mir zur Zeit dreckig geht, und du hast recht, ich bin völlig fertig. Aber ich habe nie daran gezweifelt, daß ich mich auf dich verlassen kann, wenn die Zeit kommt.«
    Ich wußte immer noch nicht, worauf er hinauswollte. Die Erschöpfung, die Sorgen, die Aufregung verliehen ihm einen verstörten Blick, der mich in Anbetracht der Umstände ein wenig beunruhigte. Und die stillen Schatten, die uns umgaben, waren trotz der Nähe des Busses nicht dazu angetan, mich zu beruhigen.
    Schließlich ließ er mich los. Doch als wir im Innern des Busses waren, führte er mich ganz nach hinten, wo mich meine Mutter erwartete, sie streckte einen Arm nach mir aus und lächelte, als hätte ich gerade einen Preis gewonnen.
    »Und ich dachte, du hättest Angst!« murmelte sie und beugte sich zu mir herab, was mir zugleich Gelegenheit gab, die reizende Überraschung zu erkennen, die sie vorbereitet hatten.
    Ich spannte sogleich sämtliche Muskeln an. Georges’ Hände fielen wieder auf meine Schultern, hinderten mich daran, zurückzuweichen.
    »Zieh aber deine Schuhe aus«, sagte er zu mir.
    Bei der Vorstellung, mich auf einen Sarg legen zu müssen – wenngleich er nach ihren Bemühungen in der Tat eher einem Bett als einem Grab auf einem Friedhof ähnelte –, befiel mich eine lähmende Panik, mir war, als würde ich an Ort und Stelle zerschmelzen. Meine Augen wurden naß, als Elisabeth anfing, meine Schuhe aufzuschnüren, und mir erklärte, eigentlich sei das nichts Besonderes. Ich haßte den weißen, zarten Nacken, den sie mir darbot, ich hätte ihr am liebsten das Genick gebrochen, wenn ich gekonnt hätte. Statt dessen fiel mein Blick auf die Armlehne eines Sitzes, und ich umklammerte sie kräftig mit einer Hand – sie würden mir den Arm ausreißen müssen! –, während Georges mir ans Herz legte, ich solle mich schlafend stellen und mich nicht rühren, solange sie mich nicht dazu aufforderten. Als mir meine Mutter die Schuhe abstreifte, hatte ich das Gefühl, ich müßte jeden Moment losheulen. Mein Mund zitterte schon, ich war bereit, mich auf den Boden fallen zu lassen, und mein Magen krampfte sich zusammen, als ich auf einmal Ediths Stimme hinter mir hörte: »Ich lege mich zu ihm!« sagte sie in so entschlossenem Ton, daß weder Georges noch meine Mutter auch nur ein Wort erwiderten.
    Ich selbst war völlig verdutzt, ich hielt meine Tränen zurück und verkniff mir das Heidentheater – ich hatte vor, in Ohnmacht zu fallen und blau anzulaufen –, das ich gerade aufführen wollte.
    Sie ging an mir vorbei, schaute mich kurz an, dann kletterte sie auf den Sarg und streckte sich unter einer Decke aus. Ich sah auf meine Mutter herab und vernichtete sie mit meinem Blick. Dann gesellte ich mich zu Edith.
    Als Georges den Motor anließ und die Deckenleuchten ausschaltete,

Weitere Kostenlose Bücher