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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Luxushotels abstiegen, aber es war das erste Mal, daß man uns auf dem Boden schlafen ließ, und statt für einen Mailänder Ausbeuter Holz zu hacken oder Waschfrau zu spielen, stand uns der Sinn eher nach den Empfängen und Diners, die irgendein Liebhaber der Künste – und zugleich hübscher Frauen und schöner Jungen, wie ich später erkannte – uns zu Ehren gab.
    »Ist das nicht lustig?« fragte sie und setzte sich auf ihr richtiges Bett.
    Ich für mein Teil wußte nicht, was daran so komisch sein sollte, auf einem Haufen von Stoffetzen zu schlafen, und die beiden anderen wirkten auch nicht begeistert. Sie streckte uns die Hände entgegen. Wir schlurften zu ihr hin.
    »Mal reich, mal arm, was soll’s?! Außerdem, das Leben wäre doch langweilig, wenn ständig die Sonne schiene, findet ihr nicht?«
    Wir wußten nicht so recht.
    »Den wahren Reichtum trägt man in sich. Die Dinge, die uns umgeben, haben keinen Wert …«
    Jetzt kapierten wir überhaupt nichts mehr. Das war nicht der passende Augenblick für unsere geistige Erziehung. Wenn sie so weitermachte, schlief ich bestimmt noch im Stehen ein.
    Der nächste Tag war also der Tag der Abreise. Als Georges mit einer Metallsäge – er hatte den Hotelbesitzer bitten müssen, ihm eine zu leihen – die letzte Schraube erledigt hatte und sich daran machte, die Rückbank herauszuziehen, schickte er mich los, damit ich den andern Bescheid sagte. Er wirkte müde und ausgelaugt. Ich nahm die Tasse und rannte los. Ich sah noch, wie er sich die Bank quer über die Schultern setzte und sich umdrehte, bleich wie der Christus von Mantegna.
     
    Wir mußten eine ganze Weile vor dem Krankenhaus warten. Ramona schickte uns aus dem Bus und verpflanzte uns auf eine Bank, wo sie uns ein paar Butterbrote schmierte. Es war lausig kalt, aber der Himmel war tiefblau, wir spürten fast die Sonne auf unseren Backen. Unter unseren Füßen knirschte der Schnee, als wäre er überzuckert, und ringsum war eine Art Park zum Spielen. Aber wir blieben sitzen, die Hände in den Taschen, steif und mürrisch. Wir hatten die Nase voll von dieser Tour, wir wollten nach Hause.
    Beim Anblick des Sarges, den Georges, Luiz und zwei Tänzer eilig die Treppe hinuntertrugen, begann Edith wieder zu weinen. Ihr Mund verzog sich wieder wie an jenem Abend, aber sie hielt die Augen sperrangelweit auf und sah ihnen regungslos zu, in einem tropfnassen Schweigen.
    Wir weigerten uns, die Brote zu essen. Der Sarg wurde rasch in den hinteren Teil des Busses verfrachtet und unter einem Berg von Decken versteckt. Den Gesprächen in der vergangenen Nacht hatten wir mehr oder weniger entnommen, daß wir Madeleines Leichnam nicht ohne Genehmigung transportieren durften, uns jedoch in Anbetracht der Kosten darüber hinwegsetzen mußten. Bevor wir losfuhren, stellte Georges ein paar Koffer um ihn herum, damit die Sache nicht zuviel Aufmerksamkeit auf sich zog. Dann fiel sein Blick auf mich, und er erklärte, als spräche er zu sich selbst.
    »Wenn wir über die Grenze wollen, müssen wir uns etwas Besseres einfallen lassen …«
    Endlich setzte sich der Bus in Bewegung, und wir fuhren unter einer strahlenden Sonne Richtung Turin.
    Die vorderen Sitze waren so angeordnet, daß man einander anschaute. Die eine Bankreihe hatten wir gemeinsam mit Ramona belegt, auf der andern hatten Luiz und Rebecca Platz genommen. Ramona gab jedem von uns eine Reisedecke, in die wir uns hüllten, denn selbst im Innern des Busses dampfte unser Atem wie ein Schornstein, und unsere Füße steckten in eiskalten Zangen.
    Oli schlief bald an meiner Schulter ein, den Daumen im Mund. Er störte mich, aber jedesmal, wenn ich ihn zur Seite stieß, fiel er wieder gegen mich, so daß ich es schließlich aufgab, da ich keine Lust hatte, ständig dagegen anzukämpfen, was ohnehin nichts gebracht hätte. Ich war ganz klamm, und meine Gedanken schoben sich träge unter meine Schädeldecke, berührten mich kaum. Georges saß am Steuer und quatschte mit Luiz, der neben ihm stand und Nüsse für ihn knackte. Die blendendweiße Landschaft ließ mich blinzeln. Ramona las Tod auf Kredit von einem Typ, der in Meudon ganz in unserer Nähe wohnte und vor dem wir ein wenig Angst hatten. Rebecca holte sich etwas zu essen hervor. Edith schaute, die Stirn gegen die Fensterscheibe gepreßt, nach draußen. Ich hatte meinen Vater nicht gekannt, er war – drei Monate nachdem er meine Mutter geheiratet hatte – in der Schlacht am Monte Cassino gefallen und hatte mir

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