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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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nichts als einen seltsamen Vornamen hinterlassen. Ich hätte Edith gern gesagt, daß wir jetzt in der gleichen Lage waren. Das waren die Worte, die mir in den Sinn kamen, aber sie drückten meine Empfindungen nicht richtig aus. Ich fragte mich, wie ich ihr erklären sollte, naja, ich ohne meinen Vater und sie ohne ihre Mutter, ich wußte nicht genau, aber das war, als hätten wir alles geteilt, was wir hatten – und bei genauerer Überlegung erschien mir dieser Gedanke merkwürdig, wenn auch recht nah an dem, was ich fühlte.
    Die Stimmung war natürlich alles andere als fröhlich. Madeleines Tod und der Einnahmeverlust, den unsere hastige Rückkehr bedingte, erstickten jeglichen Anflug von guter Laune im Keim oder verliehen ihm etwas Gequältes. Man brauchte sich nur im Rückspiegel Georges anzusehen, der abgespannt und mit irrem Blick die Zähne zusammenbiß, als säße ihm der Teufel im Nacken, um im gleichen Moment am Boden zerstört zu sein. Schon die Hinfahrt war mir lang vorgekommen, trotz der Aufregung, die ein solcher Ortswechsel in uns hervorrief, und obwohl sich jeder Mühe gegeben hatte, uns auf andere Gedanken zu bringen. Diesmal befürchtete ich das Schlimmste.
    Ich streckte mich vorsichtig aus, träumte, ich würde einnicken und in einen tiefen Schlaf versinken, aus dem mich nichts vor unserer Ankunft herausreißen könnte. Mein Blick fiel durch meine halb geschlossenen Augen auf Rebecca, während mein Verstand vor sich hin tuckerte und schließlich völlig leerlief. Sie hatte ein Brötchen hinuntergeschlungen und sammelte die Krümel auf ihrer Serviette. Dann wühlte sie in ihrer Tüte und brachte – ein Ei zum Vorschein.
    Ich fuhr fast zusammen. Das Blut schoß mir ins Gesicht. Begünstigt durch die Decke, die mich bis zu den Schultern einhüllte, hakte ich unauffällig meine Hose auf und faßte nach meinem Pimmel. Oh, ich hätte mein Leben dafür gegeben, wenn mich in diesem Augenblick nicht meine, sondern Rebeccas Hand geknetet hätte! Ich kniff meine Lider zu winzigen Schießscharten zusammen und starrte auf ihren Mund und ihre Hände, denen ich mit einemmal ein besonderes Interesse entgegenbrachte.
    »Mein Schatz, du bist ja krebsrot!« bemerkte Ramona und hätte mich damit fast umgebracht. »Dir ist doch nicht zu warm?«
    Wir fuhren durch Turin und ließen in der Abenddämmerung die Vororte hinter uns. Dann schlief ich wirklich ein.
    Wir waren in Meudon, in meinem Zimmer. Rebecca hatte mich in ihre Arme geschlossen, und ich betatschte sie verliebt, als plötzlich alles um mich herum zusammenbrach. Ich schlug wimmernd die Augen auf und erfaßte blitzschnell, daß mich Georges geweckt hatte.
    »Na, mein Junge, wie fühlst du dich?« fragte er und fuhr mir durch die Haare.
    War er bekloppt oder was?
    Ich stellte fest, daß der Bus stand.
    »Ich brauche dich«, fuhr er fort. »Ich möchte, daß du den Platz wechselst.«
    Ich wäre am liebsten einfach wieder eingenickt, aber ich stand trotzdem auf, weil ich die Sache endlich hinter mir haben wollte.
    »Sehr gut. Komm, wir gehen mal pinkeln«, sagte er und drapierte meine Schultern mit der Decke. »Ich will dir etwas zeigen …«
    Ich war nicht besonders erpicht darauf, rauszugehen, aber ich vermochte gerade mal zu gähnen und meine Augen offenzuhalten, ich war nicht in der Lage, den geringsten Widerstand zu leisten.
    Er ging vor, stieg aus, dann hob er mich hoch und setzte mich auf dem Schnee ab. Ramona drückte mich an sich und rieb mir über den Rücken. Der Wind hatte nachgelassen, aber die eiskalte Luft fiel über meinen Kopf her und zerriß mir den Schädel. Ich räkelte mich, seufzte und erblickte die anderen, die ein Stück weiter weg standen, ein dichtgedrängter, qualmender Block, bläulich im Mondschein.
    Georges reichte mir eine gedörrte Aprikose, die ich unlustig mummelte. Es war dermaßen kalt, daß mir angst und bange wurde, ich hatte Schmerzen von den Zehenspitzen bis zum Knie. Georges trug ein einfaches Jackett und ein am Hals geöffnetes Polohemd, als könnte ihm nichts mehr etwas anhaben. Zwinkernd forderte er mich auf, mich mit ihm ein wenig abseits zu postieren, er schenkte mir ein Lächeln und trat, die Hand am Hosenstall, ein paar Schritte zur Seite.
    »Wir sind kurz vor der Grenze«, erklärte er mir, während ich die Stärke unseres jeweiligen Strahls verglich. »Du weißt, wir haben schon Scherereien genug. Es ist besser, wenn sie Madeleines Sarg nicht entdecken, verstehst du …«
    Dann lud er mich auf seine Schultern und

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