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Passagier nach Frankfurt

Passagier nach Frankfurt

Titel: Passagier nach Frankfurt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sie anspricht – sie werden das selbst erleben.» Sie fuhr fort:
    «Sie haben Charlottes Sicherheitskader gestern Abend gesehen, alle waren herausgeputzt – die Leute verkleiden sich gerne heutzutage. Man begegnet ihnen überall auf der Welt in ihrer selbst gewählten Ausstaffierung, überall anders, einige mit langem Haar und Bärten und die Mädchen mit ihren weißen Nachthemd-Hängekleidchen; sie reden von Frieden und Schönheit und der wunderbaren Welt, der Welt der Jungen, die ihr Eigen sein wird, wenn sie genug von der alten Welt zerstört haben. Das ursprüngliche Land der Jugend lag einmal westlich der Irischen See, nicht wahr? Ein sehr einfacher Ort, ein ganz anderes Land der Jugend als das, was jetzt geplant ist – mit silbrigen Stränden und Meeresgesang.
    Jetzt aber wollen wir Anarchie, Niederreißen und Zerstörung. Nur noch die Anarchie kann die zufriedenstellen, die hinter ihr hermarschieren. Es ist beängstigend, aber auch wundervoll – wegen der Gewalt, weil es mit Schmerzen erkauft wird und mit Leiden –»
    «So betrachtet man also heute die Welt?»
    «Manchmal.»
    «Und was soll ich als Nächstes tun?»
    «Begleiten Sie Ihre Führerin. Ich bin Ihre Führerin. Wie Vergil bei Dante, ich führe Sie in die Hölle hinunter, ich zeige Ihnen die sadistischen Filme, zum Teil noch von der alten SS kopiert, zeige Ihnen Grausamkeiten und Schmerz und die Anbetung der Gewalt. Und ich zeige Ihnen die großen Träume vom Paradies in Frieden und Schönheit. Sie werden das eine nicht vom anderen unterscheiden können. Aber Sie werden sich entscheiden müssen.»
    «Kann ich Ihnen vertrauen, Renata?»
    «Das müssen Sie selbst entscheiden. Sie können vor mir weglaufen, wenn Sie wollen, oder Sie können bei mir bleiben und die Neue Welt sehen. Die Neue Welt, die sich im Aufbau befindet.»
    «Die ist doch nur aus Pappe», sagte Sir Stafford heftig.
    Sie sah ihn fragend an.
    «Wie bei Alice im Wunderland. Die Karten, die Spielkarten aus Pappe, die alle in die Luft fliegen. Umherfliegen, Könige, Königinnen und Buben. Alle.»
    «Wie meinen Sie das – was genau wollen Sie damit überhaupt sagen?»
    «Ich meine, es ist nicht die Wirklichkeit. Es ist alles nur Fantasie. Das ganze verdammte Zeugs ist nur Schein.»
    «In gewissem Sinne, ja.»
    «Alle sind kostümiert und spielen eine Rolle, ziehen eine Show ab. Ich komme der Sache schon näher, nicht wahr, der wahren Bedeutung?»
    «Auf eine Weise, ja, auf andere Weise, nein –»
    «Eines möchte ich Sie noch fragen, denn es verwirrt mich. Die Große Charlotte hat Ihnen doch aufgetragen, mich zu ihr zu bringen – warum? Was wusste Sie überhaupt von mir? Was dachte sie denn, wie ich ihr nützlich sein könnte?»
    «Ich weiß es nicht genau – möglicherweise als eine Art graue Eminenz – hinter einer Fassade. Das wäre doch sehr passend für Sie.»
    «Aber sie weiß doch rein gar nichts über mich!»
    «Ach das!» Renata brach plötzlich in heftiges Gelächter aus. «Es ist wirklich zu lächerlich, immer wieder derselbe alte Unsinn!»
    «Ich verstehe Sie nicht, Renata.»
    «Nein – weil es dermaßen simpel ist. Mr. Robinson würde es verstehen.»
    «Würden Sie mir bitte erklären, wovon Sie überhaupt reden?»
    «Es ist immer dieselbe alte Sache – ‹Nicht was man ist, sondern was man weiß, ist wichtig.› Ihre Großtante Matilda und die Große Charlotte waren auf derselben Schule.»
    «Sie wollen wirklich damit sagen –»
    «Sie haben ihre Kindheit zusammen verbracht.»
    Er starrte sie an. Dann warf er den Kopf zurück und brüllte vor Lachen.

Kapitel 12

Der Hofnarr
     
    S ie verließen das Schloss am Mittag, nachdem sie sich von ihrer Gastgeberin verabschiedet hatten. Sie fuhren die gewundene Straße hinunter, ließen das Schloss hoch oben hinter sich und kamen schließlich nach stundenlanger Fahrt zu einem Stützpunkt in den Dolomiten – ein Amphitheater in den Bergen, wo Versammlungen, Konzerte und Treffen der verschiedenen Jugendgruppen veranstaltet wurden.
    Renata hatte ihn dort hingebracht, seine Führerin, und von seinem Platz auf dem nackten Fels hatte er verfolgt, was sich dort zutrug. Er verstand jetzt ein bisschen besser, wovon sie früher am Tag gesprochen hatte. Diese großartige Massenversammlung war mit Leben erfüllt gewesen, wie alle Massenveranstaltungen es sein können, ob sie nun von einem missionarischen Religionsführer im Madison Square Garden in New York einberufen waren oder ob sie im Schatten einer walisischen Kirche

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