Passagier nach Frankfurt
würde?»
«Noch mehr Wagner? Oder haben Sie sich von Wagner losgesagt?»
«Nein – Sie haben ganz recht – noch mehr Wagner. Ich ließe Hans Sachs unter seinem alten Baum sitzen und über die Welt sagen: ‹Wahn, Wahn, überall Wahn.›»
«Ja, das trifft es. Es ist auch wunderbare Musik. Nur sind wir nicht dem Wahn verfallen. Wir sind völlig normal.»
«Außergewöhnlich normal», sagte Stafford Nye. «Das ist das Problem. Da ist noch eine Sache, die ich wissen möchte.»
«Nun?»
«Vielleicht werden Sie es mir nicht sagen. Aber ich muss es wissen. Kann man denn wenigstens ein bisschen Spaß bei dieser ganzen Geschichte haben, die wir da in Angriff nehmen?»
«Aber sicher. Warum denn nicht?»
«Wahn, Wahn, überall Wahn – aber wir werden es sehr genießen. Werden wir ein langes Leben haben, Mary Ann?»
«Wahrscheinlich nicht», erwiderte Renata.
«Das ist die richtige Einstellung. Ich gehe mit Ihnen, meine Gefährtin und meine Führerin. Werden wir als Ergebnis unserer Bemühungen eine bessere Welt bekommen?»
«Ich glaube nicht, aber vielleicht eine liebenswürdigere. Heute ist sie voller Doktrinen, aber ohne Liebenswürdigkeit.»
«Das genügt mir», sagte Stafford Nye. «Auf zu neuen Taten!»
3. Buch
Im In- und Ausland
Kapitel 13
Konferenz in Paris
F ünf Männer saßen in einem Raum in Paris zusammen. Dieser Raum hatte schon bedeutende historische Konferenzen gesehen. Ziemlich viele sogar. Diese Konferenz war jedoch in vieler Hinsicht eine Versammlung anderer Art, versprach allerdings nicht weniger historisch zu werden.
Monsieur Grosjean hatte den Vorsitz. Er war ein griesgrämiger Mann, der sein Bestes tat, leicht über die Dinge hinwegzugehen. Auf charmante Art und Weise, was ihm in der Vergangenheit schon gute Dienste geleistet hatte. Doch er hatte das Gefühl, dass ihm das heute nicht sehr von Nutzen war. Signor Vitelli war erst eine Stunde zuvor mit dem Flugzeug aus Italien eingetroffen. Seine Bewegungen waren hektisch, sein Verhalten unbeherrscht.
«Das übertrifft alles», sagte er gerade, «das übertrifft alles, was man sich vorstellen kann.»
«Diese Studenten», sagte Monsieur Grosjean, «haben wir nicht alle darunter zu leiden?»
«Hier geht es um mehr als nur um Studenten. Es ist ein Bienenschwarm. Eine große Naturkatastrophe. Größer, als man sich vorstellen kann. Sie marschieren. Sie haben Maschinengewehre. Von irgendwoher haben sie Flugzeuge bekommen. Sie verkünden, sie wollen ganz Norditalien übernehmen. Aber das ist doch Wahnsinn! Das sind doch Kinder – nichts weiter. Aber sie haben Bomben, Sprengstoff. Allein in Mailand sind sie stärker als die Polizeikräfte. Was sollen wir tun? Das Militär? Auch die Armee – sie befindet sich im Aufstand. Sie sagt, sie sei mit les jeunes. Sie sagen, es bestehe keine Hoffnung für die Welt außer in der Anarchie. Sie sprechen von einer Sache, die sie eine ‹Neue Welt› nennen, aber das kann doch einfach nicht sein.»
Monsieur Grosjean seufzte. «Die ist unter den jungen Leuten sehr populär», sagte er, «die Anarchie. Der Glaube an die Anarchie. Das wissen wir noch aus der Algerien-Geschichte. Das wissen wir von all den Problemen, die unser Land und unser Kolonialreich erlitten haben. Und was können wir ausrichten? Das Militär? Am Ende steht es hinter den Studenten.»
«Die Studenten, ach ja, die Studenten», sagte Monsieur Poissonier.
Er war Mitglied der französischen Regierung, ihm war schon allein das Wort ‹Student› ein Gräuel. Wenn es nach ihm ginge, so würde er die Asiatische Grippe oder gar einen Ausbruch der Beulenpest den Aktivitäten der Studenten vorziehen. Eine Welt ohne Studenten! Davon träumte Monsieur Poissonier zuweilen.
Das waren wunderbare Träume. Leider hatte er sie nicht allzu oft.
«Was die Amtsrichter betrifft», sagte Monsieur Grosjean. «Was ist mit unserer Justizbehörde geschehen? Die Polizei – ja, die ist noch loyal, aber die Richterschaft. Sie weigert sich, Strafen zu verhängen über die jungen Männer, die vorgeführt werden. Junge Leute, die Besitz zerstört haben, Regierungsbesitz, Privatbesitz – jede Art von Besitz. Man wüsste gern, warum die Richter das nicht tun wollen. Neulich habe ich Nachforschungen angestellt. Die Präfektur hat mir einige Dinge angedeutet. Der Lebensstandard der Angehörigen der Justizbehörden müsse verbessert werden, besonders in den Provinzen.»
«Aber, aber», sagte Monsieur Poissonier, «seien Sie vorsichtig
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