Passagier nach Frankfurt
ähnlich aussahen. Sie hätten alle, fast alle, Adolf Hitler sein können. Sie hätten sich nie mit solcher Leidenschaft, solcher Heftigkeit für Adolf Hitler halten können, hätten sie nicht zumindest eine gewisse Ähnlichkeit besessen, ergänzt durch Schminke, Verkleidung, fortwährende Schauspielerei und Verkörperung der Rolle. Ich war Adolf Hitler vorher noch nie begegnet. Man sah Bilder von ihm in der Zeitung, man wusste oberflächlich, wie unser großer Genius aussah, aber man kannte nur die Bilder, die er an die Öffentlichkeit ließ. Also kam er, er war der Führer, Martin B. dem man in diesem Punkt am meisten vertrauen konnte, sagte, er sei der Führer. Nein, ich hatte keinen Zweifel. Ich folgte den Befehlen. Hitler wollte den Raum allein betreten, um eine Auswahl – wie soll ich sagen? – seiner Gipsabgüsse zu treffen. Er ging hinein, er kam wieder heraus. Die Kleidung hätte getauscht werden können, ohnehin nicht sehr unterschiedliche Kleidung. Kam er selbst heraus oder einer der selbst ernannten Hitlers? Von Martin B. schnell hinausbugsiert, während der echte Mann zurückblieb und sich daran erfreuen konnte, seine erwählte Rolle zu spielen; der erkannte, dass er auf diese Weise, und nur auf diese Weise, aus dem Lande entkommen konnte, das kurz vor der Kapitulation stand. Er war schon geistesgestört, mental geschädigt von Wut und Ärger, dass die Befehle an seinen Stab, seine Anweisungen für die unmöglichen Dinge, die sie sagen und tun sollten, nicht wie in alten Zeiten sofort ausgeführt wurden. Er nahm schon wahr, dass ihm das Oberkommando entglitt. Aber er hatte ein oder zwei Getreue, die einen Plan für ihn entwickelt hatten, ihn aus dem Land, aus Europa herauszubringen, an einen Ort, wo er auf einem anderen Kontinent seine Nazianhänger um sich sammeln konnte, die Jungen, die so leidenschaftlich an ihn glaubten. Das Hakenkreuz würde dort wieder aufgerichtet. Er spielte seine Rolle. Er genoss es, ohne Frage. Ja, das passte zu einem Mann, dessen Verstand unzweifelhaft schon angeschlagen war. Er würde den anderen schon zeigen, dass er die Rolle Hitlers spielen konnte, besser als sie. Er lachte manchmal in sich hinein, und meine Ärzte, meine Pflegerinnen sahen gelegentlich nach ihm und bemerkten eine leichte Veränderung. Ein Patient, der vielleicht besonders geistesgestört war. Pah, das war nichts Besonderes. Das gab es immer wieder. Bei den Napoleons, den Julius Cäsars, bei allen von ihnen. Als Laie würde man wohl sagen, manchmal hatten sie eben ihre besonders verrückten Tage. Ich kann es nur so beschreiben. Jetzt ist die Reihe an Herrn Spiess.»
«Unglaublich!», sagte der Innenminister.
«Ja, unglaublich», sagte Herr Spiess geduldig. «Aber unglaubliche Dinge geschehen, wissen Sie? In der Geschichte, im alltäglichen Leben, ganz gleich wie unwahrscheinlich sie sind.»
«Und keiner hatte einen Verdacht, keiner hat es gewusst?»
«Es war sehr gut vorbereitet. Es war gut geplant, gut ausgearbeitet. Die Fluchtroute war bereit, die genauen Einzelheiten waren nicht bekannt, aber man kann sie ganz gut rekonstruieren. Als wir die Sache zurückverfolgten und Ermittlungen anstellten, fanden wir heraus, dass einige der Beteiligten, die eine bestimmte Person mit verschiedenen Verkleidungen und Namen von Ort zu Ort weitergaben, nicht so alt geworden sind, wie man hätte erwarten können.»
«Meine Sie für den Fall, dass sie das Geheimnis verraten oder zu viel geredet hätten?»
«Die SS hat dafür gesorgt. Reiche Entlohnung, Lob, Versprechen hoher zukünftiger Positionen und dann – der Tod ist eine sehr viel einfachere Lösung. Die SS war an den Tod gewöhnt. Sie kannten die verschiedenen Methoden, sie wussten, wie man Leichen entsorgt – oh ja, das kann ich Ihnen bestätigen, diese Geschichte wird schon eine ganze Weile untersucht. Die Erkenntnisse haben wir Schritt für Schritt gewonnen, wir haben Nachforschungen angestellt, Dokumente erworben, und die Wahrheit ist ans Licht gekommen. Adolf Hitler hat Südamerika mit Gewissheit erreicht. Es heißt, dass eine Hochzeit stattfand, dass ein Kind geboren wurde. Das Kind erhielt eine Hakenkreuz-Tätowierung an der Ferse. Schon als Baby tätowiert. Ich habe verlässliche Agenten getroffen, denen ich vertrauen kann. Sie haben diesen tätowierten Fuß in Südamerika gesehen. Dieses Kind wurde dort aufgezogen, sorgfältig bewacht, abgeschirmt, vorbereitet – vorbereitet wie etwa der Dalai-Lama für seine große Bestimmung. Denn das war die
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