Pastetenlust
nichts mehr, der Herr ist tot“,
Palinskis Antwort fiel unfreundlicher aus als beabsichtigt.
„Na, Sie wern eam do net umbrocht hobn“, meinte die Gute
resolut und der Angesprochene war sich nicht ganz sicher, ob die scherzhaft
anmutende Frage nicht doch auch eine Spur ernst gemeint war.
„Mit so etwas macht man keine Witze“, er liebte schwarzen
Humor, fand den Zeitpunkt aber ziemlich unpassend. „Passen Sie hier auf, ich
gehe die Polizei anrufen“, wies er die Pitzal an.
„Is in Urdnung“, die Frau akzeptierte seine Anweisung ohne
Widerspruch. „Haums wos dagegn, wenn i ma an Kaffee nimm?“, rief sie Palinski
nach. Der machte eine unbestimmte Handbewegung, die Elfriede Pitzal
selbstsicher als Zustimmung deutete.
„Und wans ma no a Müch und an Zucka mitbringatn, wär I Ihna
ewig donkboar.“
Palinski, der mit plötzlich stark einsetzender
Speichelproduktion zu kämpfen und alle Mühe hatte, seine auf Umkehrschub
gehende Peristaltik unter Kontrolle zu bekommen, bewunderte die Kaltblütigkeit
der Frau. Vielleicht war es ja auch bloß Gefühllosigkeit, eine über die Jahre
beim Stiegenwaschen gewachsene Apathie, wer konnte das schon wissen.
*
Mein Name ist Mario Palinski, ich bin 44
Jahre alt und so was ähnliches wie verheiratet. Mit meiner Jugendliebe Wilma
verbinden mich neben unseren beiden Kindern eine, wie ich es nennen möchte,
streitbare Leidenschaft. Anfangs überwog die Leidenschaft, später der Streit.
Das aktuelle Verhältnis lässt sich am besten mit › ich kann nicht mit ihr, aber
auch nicht ohne sie leben‹ beschreiben.
Seit ich vor mehr als drei Jahren die gemeinsame Wohnung
verlassen und mich in der auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofes
gelegenen Hausmeisterwohnung eingenistet habe, vertragen wir uns
erstaunlicherweise wieder recht gut. Die nach wie vor unvermeidlichen Streits
finden jetzt nur mehr über E-Mails statt und die sind weniger verletzend. Im
Gegenteil, meistens ist es richtig amüsant, nachzulesen, über welchen Blödsinn
man sich eigentlich aufregt.
Dass ich Wilma nie gefragt habe, ob sie meine Frau werden
will, muss irgendwie damit zu tun haben, dass ich unter Prüfungsangst leide.
Die Matura ist mir im zweiten Anlauf und in völliger Teilnahmslosigkeit
passiert. Bei der schriftlichen Deutschprüfung bin ich fast eingeschlafen,
worauf ich die nächste Dosis Sedativa deutlich reduziert habe. Beim daraufhin
begonnenen Studium der Rechte hat das aber nicht mehr funktioniert. Entweder
war die Dosis zu hoch und ich habe den Prüfungstermin verschlafen oder sie war
zu gering und ich bin nicht hingegangen. Nach fünf Jahren und acht nicht
stattgefundenen ›Ersten Staatsprüfungen‹ habe ich mich von den Medikamenten und
der Zwangsvorstellung meiner Umwelt verabschiedet, unbedingt einen akademischen
Grad erwerben zu müssen.
Das Absurde an der
ganzen Situation war, dass ich allgemein von relativ rascher Auffassungsgabe
bin und den Prüfungsstoff hervorragend beherrscht habe, ja noch immer
beherrsche. Nach dem zweiten verpassten Termin hatte ich begonnen, einige
Kommilitonen für ihre Prüfungen zu ›coachen‹, und das mit nachweisbar gutem
Erfolg. Bis zu meinem fünften Nichtantreten hatte ich mir den Stoff des zweiten
Studienabschnittes angeeignet und mich dann dem letzten Drittel zugewendet. Im
totalen Kontrast zu den meisten frischgebackenen Doktores und Magistri juris
habe ich die Rechtswissenschaften im kleinen Finger. Aber eben keinen
anerkannten Nachweis dafür.
Für Wilma, die ihr Romanistikstudium mit ›summa cum laude‹
in der kürzest möglichen Zeit beendet hat, war das nur schwer zu verstehen.
Immerhin bemühte sie sich aber redlich. Für ihre Eltern dagegen, den honorigen
Herrn Universitätsprofessor und die Frau Primaria war das schlicht
inakzeptabel. Da nützte es auch nichts, dass ich mir neben meinem Job in einer
Versicherung noch acht Semester lang Medizinvorlesungen angehört und damit auch
ein solides Wissen in dieser Fachrichtung angeeignet habe. Im Gegenteil, nach
meinem zweiten Prüfungsversagen sahen es Wilmas Eltern für die nächsten Jahre
als Herausforderung an, uns beide auseinander zu bringen. Der erste vehemente
Versuch in diese Richtung erwies sich aber als völlig kontraproduktiv und
führte nach Ablauf von neun Monaten zur Geburt unseres ersten Kindes. Eines
Mädchens mit dem Namen Justina, das wir frei mit ›Jetzt erst recht‹ übersetzt
haben.
Um
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