Patentöchter
auf 2 Waffenbücher gefunden; die Angeschuldigte hat dazu zwar angegeben, sie habe diese Bücher noch nicht gelesen und sich nur deshalb informieren wollen, weil sie viel in der Presse über den Waffengebrauch bei anarchistischen Gruppen gelesen habe.«
Die Staatsanwaltschaft wertete diese Angaben, ebenso wie die Einlassung, sie habe die Zündkörper weder als solche erkannt noch besorgt, als »Schutzbehauptung« und kam zu der Auffassung, dass für die Zündkapseln »in der Baader-Meinhof-Nachfolgeorganisation Verwendung bestehen könnte«.
Was wussten meine Eltern? Beziehungsweise, wie bewerteten sie das, was sie wussten? In einem Schreiben bittet mein Vater einen Strafverteidiger, die Angelegenheit zu übernehmen. Er teilt dem Kollegen seine Auffassung mit, dass der Tatbestand »zur Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens nicht schlüssig dargetan« sei. Und weiter: »Dies alles überspringen zu wollen und einen Indizienbeweis zu versuchen, in dem man einfach behauptet, sie habe Beziehungen zur Baader-Meinhof-Gruppe, ist einerseits schwach, weil ohne jeden Beweis, andererseits fast perfide und von Rufmord ähnlichem Charakter.«
Bei dem Verfahren wegen der Zündkapseln hatte die Staatsanwaltschaft eine weitere Akte beigezogen. Hier ging es um ein Verfahren wegen der Weitergabe von Susannes Reisepass an eine gesuchte RAF – Terroristin, Ilse Stachowiak. Hierzu schreibt mein Vater: »Soweit es sich um die beigezogene Strafakte handelt, ist zu sagen, dass jenes Verfahren eingestellt ist, und zwar durch Verfügung vom 10.6.74, ›mangels Beweises‹. Susanne weiß wahrhaft nicht, wie der Pass – falls es ihrer war – in die Hände der Stachowiak gekommen ist. Sie kennt weder sie noch kennt sie wissentlich Leute, die sie kennen. Dies alles ist jetzt für Susanne umso schlimmer, als sie dabei ist, ihre etwas jugendlich unreflektierten Ansichten abzulegen, und in eine andere, viel ruhigere Entwicklungsphase eingetreten ist. Es wäre eine menschliche Katastrophe, wenn das und ihr Beruf aufs Spiel gesetzt würde[n]. Deswegen möchte ich so gerne erreichen, dass das Hauptverfahren nicht eröffnet wird.«
Auch dieses Verfahren wurde wieder eingestellt. Gegen eine Geldbuße in Höhe von 300 DM .
Meine Eltern machten sich furchtbare Sorgen um die Tochter. Und Freunde und das nahe Umfeld wussten davon. Für meine Eltern aber war es nicht denkbar – natürlich nicht –, dass ihre Tochter bereit war weiterzugehen. Und: Sie wollten ihr unbedingt glauben. Meiner Mutter – das hat sie mir jetzt noch einmal bestätigt – ging es immer auch darum, dass Susanne wissen sollte, dass sie zu ihr hielt.
Gleichzeitig war natürlich auch dieser Glaube gebrochen. Ein weiterer Brief meines Vaters, diesmal an Susanne, macht deutlich, wie sehr sich die Eltern um meine Schwester gesorgt haben müssen. Leider ist der Brief nicht datiert, nur später, mit einem anderen Stift hat mein Vater hinzugefügt: »wann? ’76? nicht abgesandt«. Er bezieht sich offenbar auf das Attentat auf die Botschaft in Stockholm, an dem unter anderem Karl-Heinz Dellwo und Bernhard Rössner beteiligt waren, mit denen meine Schwester zusammengewohnt hatte.
Liebe Susanne,
die letzten Ereignisse lösen bei mir eine Flut von Gedanken Dich betreffend wieder einmal aus, über die ich schon neulich gerne mit Dir gesprochen hätte. Manchmal glaube ich, dass Du nur einen Fuß vor dem Abgrund stehst. Jetzt sind es schon enge Bekannte von Dir, die Tod verbreiten und vom Tode bedroht sind. Das kann doch nicht Deinem eigentlichen Wesen entsprechen. Weder bist Du ein Typ für Gewalt und Kälte des Verstandes. Noch kann man mit dieser Art von Gewalt irgendetwas anderes als Gegengewalt erreichen. Wer entführt, bedroht und Bomben legt, führt nur dazu, die anderen Bürger gegen sich aufzubringen, die Polizei zu verstärken und letztlich Gewalt auf beiden Seiten Vorfahrt zu geben. (…)
Du willst allenfalls die Welt verbessern, und Dir ist bisher nichts eingefallen, als sie zu zerstören. Revolution zur Beseitigung der Gesellschaft. – Und was dann. Dann [haben] Gewalt und Mord Triumph gefeiert, und dann wird etwas angefangen. Glaubst Du wirklich, dass das Neue dann frei von Gewalt sein wird? Dass es nicht an den Untaten kränkeln wird, die zu seiner Entstehung geführt [haben] ?
Liebe Susanne, es gibt fast gar nichts, was man nicht ändern kann. Es gehört dazu aber ein bisschen Selbstüberwindung und Gesprächsbereitschaft. Noch mal: Bitte verplempere jetzt nicht
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