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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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ihren Lebensweg in unserem Verhalten gefunden zu haben. Wir hätten zeitweise schlechte Beziehungen zueinander gehabt, aber das heile Familienleben vorgespielt. Am Sachverhalt mag etwas dran sein. Und doch: Ist die Folgerung richtig? War solche Fehlsamkeit Verantwortungsverletzung und war sie wirklich mit Grund für ihr Abgleiten? Und doch bleibt der Stachel. (…)
    Weder werde ich das Gefühl der Verantwortung gänzlich los, noch stehe ich voll dazu. Ich möchte Susanne entlasten und kann doch auch den Zorn nicht immer unterdrücken. Ich würde gerne mit Dir darüber reden können.

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Das Bekennerschreiben
Corinna Ponto
    Das am 14. August 1977 an die dpa in Hamburg geschickte sogenannte Bekennerschreiben, unterschrieben von S., nahmen wir erst Tage nach seiner Veröffentlichung wahr. Es ist das einzige nach einer Gewalttat verbreitete Schreiben in der RAF – Geschichte, das eine persönliche Unterschrift trägt:

    Dieses deutlich infame Schriftstück setzte eine solche radikale Überzeugungstäterschaft voraus, dass wir damals zuzweifeln begannen, S. könnte da nur »versehentlich« hineingeraten sein. »Bekennerschreiben« – welch ein Hohnbegriff schon in sich. Wer hat sich denn bisher wirklich zu seiner persönlichen Verantwortung bekannt?
    Für das Sortieren und Korrigieren ihres Gedankensystems hatten die heute resozialisierten ehemaligen RAF – Häftlinge die Zeitspanne einer Generation lang Gelegenheit. Die Taten sind durch den Strafvollzug juristisch abgegolten – das ist das eine Kapitel. Aber die Verantwortung für die Worte bleibt. Dieses Kapitel ist offen.
    Verantwortung übernommen hat keines der RAF – Mitglieder. Im Gegenteil. Christian Klar betonte bei einem Interview im Jahr 2001 noch ausdrücklich bei der Frage nach einem Reueempfinden: »Wenn man von unserem Gedankensystem ausgehen muss, was wir damals hatten – dann kann es keine Reue geben.« Inge Viett bezeichnete 2007 in einem offenen Brief den Terror als »Klassenkampf von unten«. Dem »Guerillakampf« sei »verdammt mehr Erfahrung, Klugheit, Ausdauer und Unterstützung zu wünschen gewesen«; »revolutionäre Gewalt hatte – zu Recht – eine moralische, befreiende Ausstrahlung«. Zu einem Nicht-weiter-so – Bekennerschreiben, gerichtet an die Nachfolgegeneration der nationalen Terrorakteure, nämlich die internationalen Terroristen, hat noch kein Aussteiger, kein Exterrorist den Mut gefunden.
    Wie würde sich ein früherer RAF – Terrorist äußern, wenn bei einem Zuganschlag in Deutschland sein eigenes Kind Opfer des internationalen Terrorismus werden würde? Das sind die fiktiven Filme, die ich durchspiele. Jedes Schlagwort in diesem Zusammenhang löst bei mir einen solchen Film aus, das ist schon ein Automatismus. Auch wenn ich in den beiden alten Bänden mit den gesammelten Zeitungsartikeln vom August 1977 blättere, die schon viele Umzüge überstanden haben, spiele ich nach mehr als dreißig Jahren den möglichen Verlauf des Verbrechens durch.

    Hätte S., die Frau in der Sommerbluse, nach Übergabe eines Rosenstraußes und »gelungener« Entführung das Feindesopfer mit ihren Genossen in den bereitstehenden VW – Bus mit den geblümten Gardinen geschubst? Anschließend wäre die Fahrt für das Opfer, an Händen und Füßen gefesselt, in eine Frankfurter Hochhauswohnung gegangen – wie hätte die Frau in der Sommerbluse ihn angesprochen? Als »Onkel«? Hätte sie ihm das Essen gebracht? Hätte sie bei der Beaufsichtigung geflüstert: »Du musst dich nicht fürchten – das wird alles gut ausgehen?« Oder hätte die Bewachung des Entführten der heute stets so menschenfreundlich auftretende und gern als »Zeitzeuge« präsentierte Peter-Jürgen Boock übernommen?
    Lese ich jene alten Artikel, muss ich ungläubig feststellen, wie viele Fehler ich schon auf den ersten Blick aus der eigenen Erfahrung erkenne. Wenn ich das hochrechne, stellt sich die Frage: Was wissen wir eigentlich alles nicht in dieser angeblich so informierten Gesellschaft? Sind zahlreiche Informationen vielleicht eher verhinderte Informationen? Geschönte, gefilterte? Ich lese Zeitungsnachrichten jetzt mit anderen Augen.
    S. habe zum Beispiel 1970 gemeinsam »mit der Ponto-Tochter Corinna, 23 … zahlreiche Partys und große Empfänge in Frankfurter Bankerkreisen« besucht ( stern 33/1977). Abgesehen von der falschen Altersangabe – ich habe noch nie eine, wie es der Spiegel ganz ähnlich nannte, »Bankerparty« besucht. Und S. gewiss auch nicht. Im

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