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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Euch!
    Eure Ignes
    Das zweite Schreiben vom 27. November 1977 ist dann der letzte Brief an uns. Er enthält, ebenso vorsichtig wie klar formuliert, den Wunsch, den Kontakt, zumindest für einige Zeit, zu kappen:
    Lieber Chrischi!
    Deinen Brief habe ich inzwischen erhalten, denn ich war in der Zeit, als Du in N.Y. warst, mit Corinna verreist. Ich möchte Dich heute auch wissen lassen, dass ich glaube, dass für die nächste Zeit jedes Treffen für uns alle von zu vielen Dingen überschattet wäre, dass es uns nicht guttun würde. Das bedeutet ja nicht, dass wir nicht viel aneinander denken und vieles miteinander fühlen. Nur ist alles so schrecklich unbegreiflich und so sehr im Fluss, und jeder von uns ist auf seine Weise so furchtbar getroffen, dass es schwer sein wird, einander zu trösten. Du wirst sicher Verständnis dafür haben. Ich kann Dir versichern, dass es uns den Umständen entsprechend gut geht und dass gute Freunde sich um uns nach Kräften kümmern. Und so, hoffe ich, wird es auch für Euch sein. Für Euch und Eure Kinder ist es jetzt so lebenswichtig, dass ihr gute Freunde habt, die Euch eng umschließen und einen Schutz für Euch bilden in dieser feindlichen Welt. Das diesjährige Weihnachtsfest wird für uns alle in Kummer getränkt sein. Wir können nur vorausblicken und Mut und Kraft für uns alle erbitten.
    Deine Ignes
    Ich vermute, dass dieser Brief meinen Vater, meine Eltern schwer getroffen hat. Wie sich aus dem oben schon zitierten, nicht abgeschickten Entwurf eines Antwortbriefs ergibt, hat mein Vater vor allem damit gerungen, wieso es nicht möglich sein sollte, gemeinsam zu trauern, »einander zu trösten«. Er scheint mir wie ein Ringen mit der Erkenntnis, dass es kein »Wir« mehr zwischen den Familien würde geben können, weil Pontos zu »Opfern« und unsere Eltern zu den Eltern einer der »Täterinnen« geworden waren.
    Liebe Ignes,
    wir wissen wenig von Euch und denken viel an Euch. Es kann sein, dass Du von uns nichts hören willst. Wenn das so ist, ist es einfach für Dich, den Brief wegzuwerfen. Ich könnte es verstehen. Natürlich verbindest Du uns – in Gedanken – mit Susanne und Jürgens Tod. Es hat auch wenig Sinn, darüber zu rechten. Aber es gibt doch auch die Möglichkeit, sich vorzustellen, dass wir Lebenden alle von einem Ereignis gemeinsam schicksalhaft zutiefst getroffen sind, dass Ihr und wir leiden und traurig sind und ängstlich und lernen müssen, damit fertig zu werden.
    Wir wissen nichts von Susanne. Wir haben nur Angst bei jeder Nachrichtensendung oder manchmal auch nur, weil das Telefon klingelt und wenn Julia mal frech ist oder depressiv. Wir haben erlebt, wie gänzlich unvorhersehbar und wie gänzlich unbeeinflussbar Menschen sich [verhalten] können. Wie sie unter Zwänge oder unter Einfluss geraten können, die wir nicht kennen, ja manchmal nicht einmal ahnen. Uns fehlt ganz viel an Boden unter den Füßen. Und doch mag es in Deinen Augen sein, dass Du weniger diese Betroffenheit siehst, wenn Du von uns hörst, dass Du weniger die Parallelen zu Deiner Trauer siehst, dass Du viel mehr denken musst an aktiv und passiv, an uns als Albrechts, die euch als Pontos etwas angetan haben, die Jürgen etwas angetan haben. (…) Vielleicht kannst Du verstehen, dass wir mit Dir traurig sind und meinen, sei es auch nur von ferne, mit Dir auch um Jürgen trauern zu dürfen. Ich habe Jürgen geliebt, bewundert (…) Er fehlt mir sehr. Und Du, liebe Ignes, Stefan und Corinna. Wir denken, glaube ich, täglich an Euch. An die, mit denen wir so verbunden sind nicht nur durch Susanne, sondern so lange schon vorher, und nicht nur, weil alle am gleichen Ereignis hängen. Vor allem weil wir mit Euch fühlen und das Euch gerne sagen möchten.
    Damit endet der Briefentwurf. Und, soweit ich weiß, gab es danach keinen direkten Kontakt mehr zwischen den Familien. Bis zum Jahr 2007, als Corinna und ich den Faden wieder aufnahmen.

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Das Blau des Meeres
und das Rot der Fahnen
Corinna Ponto
    Ende Oktober erreichte uns über den Atlantik die unglaubliche Nachricht einer uns sehr vertrauten Frankfurter Bekannten, welche meinte, Anfang August 1977 zufällig rund zehn Tage mit zahlreichen RAF – Mitgliedern auf der winzigen griechischen Insel Telendos verbracht zu haben. Sie erzählte von Abenden am Strand mit Gitarre und Donovan-Liedern, Ausgelassenheit und Nacktbaden und allabendlichen politischen Diskussionen in der kleinen Taverne. Mithilfe des Gastwirtes schlich sie sich auf

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