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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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die Pensionszimmer der Gruppe. Dort lagen Guerilla-Handbücher auf den Nachttischen.
    Unsere Bekannte ging ihrem Verdacht nur sehr zögerlich nach, meldete ihre Beobachtungen dann aber doch dem Spiegel – Korrespondenten in Athen. Daraufhin wurde sie bei ihrer Rückkehr zwei Monate später in Frankfurt vom BKA , das wohl die Passagierlisten geprüft hatte, direkt vom Flughafen abgeholt und befragt. Die Beamten deuteten an, dass Griechenland einen sehr weitgehenden Asylschutz besitze und deutsche Fahnder dem Verdacht deshalb nicht sofort hätten nachgehen können. Unsere Bekannte wurde noch ein zweites Mal vom BKA zu dem Sachverhalt befragt, doch laut Angaben der Bundesanwaltschaft finden sich ihre Aussagen nicht in den Sachakten.

    Diese Geschichte hat mich immer wieder beschäftigt. Terroristen am Strand unter südlicher Sonne, musizierend und badend, gleichzeitig die Entführung von Hanns Martin Schleyer und der »Landshut«-Maschine planend? Ein Bild, das mich nie wieder losließ.
    Seither kreisten meine Fantasien ständig wiederkehrend um Alltagssituationen der Terroristen. Statt Rachefantasien pflegte ich terroristische Alltagsfantasien. Die Taten nahmen für mich oft einen viel kleineren Raum ein. Es war der lässige Akkord aus Sonne, Meer, Feiern, Musik und parallelen RAF – Gewaltaktionen, der mich beschäftigte. Überhaupt imaginierte ich seitdem jede RAF – Tat als eine doppeldeutige Choreografie – abwechselnd diese coole Lässigkeit und dann wieder diese erbarmungslose Brutalität.
    Zudem hatte das Blau des Meeres für mich seitdem das Rot der Fahnen als Terroraktionsfarbe überlagert. Dazu addiert habe ich fortan – anderen Orten entlehnt, von denen es coole Fotos und spannende RAF – Abenteuergeschichten gibt – das Blau der Grachten von Amsterdam, das Blau der Seine in Paris, das Blau all der anderen aufgesuchten Strände einschließlich der Blautöne von Sylt, der Insel, auf der einst Ulrike Meinhof gefeiert wurde und auf der so vieles begann.
    Auch wenn die Geschichte von der Insel Telendos nicht stimmen sollte – wie viele solcher den wahren Geschichtskosmos ausmachenden Geschichten kennen wir nicht? Sie sind nicht beschrieben worden, haben keinen Eingang in die kollektiven Vorstellungen gefunden. Diese versteckten Geschichten sind im Grunde inzwischen das Spannendste an der gesamten RAF – Zeit. Wie waren überhaupt die vielen Reisen und Grenzübergänge möglich? Das erforderte viele unbekannte »Mitarbeiter« und jede Menge gut gefälschter Papiere.
    Im September 1977 teilte BKA – Präsident Horst Herold demInnenausschuss des Bundestages mit, dass offenbar viel mehr Helfer als zunächst angenommen an der Tat beteiligt gewesen waren. Der Täterkreis wurde nun auf bis zu vierzig Personen geschätzt. Warum tauchte diese Gruppe in der öffentlichen Darstellung später nicht mehr auf? Das ist kein kleiner Kreis.
    Auf der Suche nach diesen Helfern wären viele Stücke Wahrheit zu finden gewesen. Wahrscheinlich sogar die entscheidenden. Aber diese Boten und Helfer kommen in der gesamten RAF – Darstellung nicht wirklich vor. Pflege des individuellen Tätermythos ist bis zum heutigen Tag angesagt. Das Spinnennetz drum herum interessierte nicht.
    Ich stellte mir grundsätzlich immer doppelt und dreifach so viele RAF – Mitglieder vor wie auf den Fahndungsplakaten präsentiert. Meine inneren Suchplakate waren allerdings nur Schattenrisse, dennoch weitaus größer als das genormte Fahndungsplakat, das ich hauptsächlich um Kuriere, Kuriere, Kuriere ergänzte. Für mich nannte ich dieses Abbild die Landschaft der Botengänger.
    Manche Zeichenlinie auf dem selbst gestalteten Suchplakat bildete auch nur einen Ort oder eine Landschaft ab. Flirrende Hitze auf europäischen Autobahnen, das Seine-Ufer in Paris, griechische, französische, bulgarische Strände, staubige Abflughallen in Osteuropa, Ausbildungs- und Versteckhöhlen in der DDR oder Wüstenoasen in Ländern wie Libyen und Jemen, wo die Terroristen aufgenommen und ausgebildet wurden. Meine Szenenbilder waren ziemlich romantisch, provozierend idyllisch und abenteuerlich oder sie trugen die Exotik Osteuropas in sich. Eine Frankfurter Kommunewohnung mit herumliegenden Flugtickets, gefälschten Pässen und ein paar alten, noch nicht entsorgten Drogenspritzen auf unaufgeräumten Tischen – dieses Bild erschien mir am wenigsten, obgleich es natürlich auch auf das Schattenplakat gehörte.

    Das alles ergab dann, wenn man diese mit Suchfähnchen

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