Patentöchter
Terroropfern. In Amerika ist der Widerstand gegen den Terror von kollektivem emotionalem Erinnern und Empfinden getragen – in Deutschland bleibt die Auseinandersetzung mit dem eigenen Terrorismus eigenartig »rational« und indifferent. Emotionale Reaktionen habe ich nur bei den Diskussionen um die Begnadigung von Exterroristen erlebt.
Die Amerikaner zeigen sich solidarisch. Ihre Gedenkkulturbeweist Charakter. In den USA wird die Wunde gezeigt, und in freier Rede äußern sich, bis hin zu den Jüngsten, das imponiert mir immer am meisten, die Hinterbliebenen des 11. September 2001 am Ground Zero. Sie stehen dort mit gestärktem Rücken – das ganze Land hinter sich.
Meiner Mutter blieb es aufgrund ihrer Übersiedlung in die USA erspart, vor deutschen Gerichten aussagen zu müssen. Stattdessen reiste eine Gerichtsdelegation zur Vernehmung im Deutschen Konsulat in New York an. Sie hatte ihre Augen während dieser Anhörung oft nach unten gerichtet – dort blieb ihr Blick an den ausgelatschten Sandalen der Verteidiger hängen. Allerdings musste sie auch zu einer Gegenüberstellung mit einem Verdächtigen im Gefängnis im holländischen Utrecht erscheinen.
Ich hingegen wurde vor drei deutsche Gerichte geladen – die Oberlandesgerichte in Frankfurt/Main und Düsseldorf und zweimal zu Verhandlungen nach Stammheim. Dort hatte ich jeweils eine belustigte, auftrumpfende Schar von RAF – Sympathisanten im Rücken. In Stammheim standen das eine Mal Peter-Jürgen Boock, das andere Mal Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar unter Anklage. Es war mir kaum möglich zu sprechen, und ich wagte es nicht, zur Anklagebank hinüberzuschauen. Ich fühlte mich gefangen in einem Strudel der Eindrücke. Die Drehzahl des Strudels erhöhte sich noch, als mich der irritierende Mikrofonschall meiner eigenen Stimme zusätzlich umschwirrte. Ich war vor dem Gesetz verpflichtet, diese beschämende Situation auszuhalten. In Stammheim sprach ich, wie mir später ein Beobachter der Verhandlung berichtete, statt vom 31. Mai, an dem S. bei uns zu Besuch gewesen war, ununterbrochen vom 32. Mai. Es gab keine richterliche Nachfrage.
Eine innere Scham verdeckt meine Erinnerung an diese Gerichtstermine vollkommen. Mir scheint, eine solche Schamist der Autoaggression verwandt: Man macht sich die Scham, die man von den anderen erwartet, zu eigen. Ich erinnere mich an nichts mehr von diesen vier Lebensmomenten. Sie sind verdeckt von einem kompletten Blackout. Nur der Hohn der Zuschauer sitzt mir noch auf der Schulter.
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Wer führte Regie?
Corinna Ponto
Bei den Nachrichten von den Attentaten auf den Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts, den Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Gerold von Braunmühl (1986) und den Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen (1989) wurde der immer wieder auftauchende Gedankenblitz, dass die Spur der Morde zur DDR , zur Stasi führen könnte, für unsere Familie zur inneren Gewissheit. Meine Mutter, mein Bruder und ich haben sehr früh vermutet, dass es sich bei der These von den Einzeltätern bzw. kleinen Gruppen von Tätern um einen Mythos handelte. Seit den von der »dritten Generation« der RAF verübten Morden wurde für meine Familie die Stasi-Spur, die zuvor ein immer präsentes intuitives Gefühl war, zur Erklärung für die vielen offenkundigen Ungeklärtheiten.
Die Ost-Reiserouten der Täter, die zahllosen Aufenthalte der Terroristen in den Satellitenstaaten der Sowjetunion waren ja schon bekannt geworden. Dass einige von ihnen sogar in der DDR Unterschlupf gefunden und eine neue Identität angenommen hatten, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch die spurenlose Perfektion der in den späten Achtzigerjahren verübten Verbrechen bestärkte uns in unserem Verdacht, dass die Terroristen von östlichen Geheimdiensten gelenkt wurden.
Ein junger Historiker meinte kürzlich, die Aufarbeitung dieser Zeit stecke noch in den Kinderschuhen – tröstlich, dass diese Stimmen jetzt zu hören sind. Erste Rechercheergebnisse in dieser Sache haben Michael Buback, Regine Igel, Udo Schulze und Wolfgang Kraushaar vorgelegt.
Michael Buback legt in seinem Buch »Der zweite Tod meines Vaters« die Ungereimtheiten bei der Aufklärung des Mordes vom 7. April 1977 offen. Udo Schulze enthüllt in dem Buch » RAF : Becker, Buback und Geheimdienste«, dass sie 1977 bei ihrer Festnahme 200 Ostmark bei sich hatte – eine Währung, für die sie in der Bundesrepublik keine Verwendung hatte. Wolfgang
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