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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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die Geschichte undReligionen des Nahen Ostens interessiert hat, hat später unter anderem am Hamburger »Institut für die Geschichte der deutschen Juden« mitgearbeitet und eine Ausstellung über prominente Hamburger jüdische Frauen mitkonzipiert.
    Mein Vater hat Fusionen seiner Kanzlei mitgeplant und umgesetzt. Aber er hat dabei seinen Namen preisgegeben. Aus einer Kanzlei, die den Namen Albrecht mit im Titel führte und nicht zuletzt auch wegen dieses Namens prominent war, vor allem für das Seerecht, verlor sich dieser Name bei einem der ersten großen Zusammenschlüsse. Erst als alter Mann hat er sich aus der Arbeit und damit auch der Sozietät zurückgezogen.
    Ebenso wenig wie wir auf das Desaster von 1977 vorbereitet gewesen waren, waren wir auf ihr Wiederauftauchen im Juni 1990 vorbereitet.
    Ich lebte bereits seit Jahren in der Potsdamer Straße in Berlin. An diesem Tag wollte ich nach Hamburg fahren. Es war – wieder einmal – ein heller Sommertag. Ich kam nach Hause und hörte meinen Anrufbeantworter ab. Auf dem Anrufbeantworter war – wieder einmal – meine Freundin Elisabeth. Sie sagte: »Hallo, Jule, wie geht’s, hast du schon Nachrichten gehört?« Mehr sagte sie nicht.
    Und ich war wie angestochen, wusste nicht, was tun. Ich schrie innerlich. Ich wusste, was passiert war, konnte es aber nicht überprüfen, weil ich kein Radio hatte. Ich wusste: Susanne war wieder in der Welt. So oder so. Tot oder lebendig. Ich war fassungslos vor Freude darüber. Und ohnmächtig vor Unsicherheit, ob ich mich nicht täuschte.
    Ich rief meine Freundin Ulrike an. Ich sagte oder besser schrie: »Ulrike, stell das Radio an, ich muss Nachrichten hören!« Und Ulrike, angesteckt durch die Aufregung in meiner Stimme, schaffte es kaum, das Radio einzuschalten, geschweige denn eine Nachrichtensendung zu finden. Dannhörten wir: Susanne Albrecht war in Ostberlin festgenommen worden.
    Ich jubilierte: Susanne, meine geliebte Susanne, war wieder da!
    Es war noch Nachmittag, als die Nachricht mich erreichte. Ich musste nicht lange überlegen. Ich verließ das Haus und ging einfach die Straße hinauf nach Norden, Richtung Potsdamer Platz, zu der Anwaltskanzlei, bei der ich wenige Monate zuvor ein Praktikum gemacht hatte. Ich wollte sie beauftragen, sich um meine Schwester zu kümmern, die, irgendwo in Ostberlin, im Gefängnis saß. Ich wollte nicht, dass sie würde warten müssen.
    Ich erinnere mich nicht genau, wie es weiterging. Wen sah ich noch an diesem Tag? Auf jeden Fall waren Ulrike und Lindy gleich da. Das Glück jedenfalls war wieder zu mir gekommen.
    Ich erinnere mich an den nächsten Morgen. Ich stand in aller Frühe auf und ging hinunter auf die Straße. Am Kiosk kaufte ich mir alle vorhandenen Tageszeitungen. Von Bild und BZ bis zur Frankfurter Allgemeinen und Süddeutschen. Ich hatte einen dicken Stapel im Arm, setzte mich in meinen schmutzig braunen Honda und fuhr nach Ostberlin. Wieso Ostberlin? Weil Susanne dort gelebt hatte und festgenommen worden war. Weil sie dort jetzt im Gefängnis saß. Weil wir jetzt wirklich Nachbarinnen waren.
    Ich fuhr zum Hotel Berlin, Ecke Unter den Linden und Friedrichstraße, das es heute nicht mehr gibt. Ich setzte mich in den Frühstücksraum. Ein riesiger Raum im DDR – Stil. Ich bestellte einen Kaffee und ein Wasser. Und schlug die Zeitungen auf und das Wasserglas um. Ein ums andere Mal verschüttete ich Kaffee und Wasser. Die Zeitungen in meiner Hand entfalteten eine Eigendynamik und nahmen keine Rücksicht auf meine Getränke. Schmutzige Flecken bildeten sich auf der beigefarbenen Tischdecke. Der Kellnertrug es mit Fassung und brachte mir neuen Kaffee, neues Wasser.
    Ich durchblätterte und durchforstete die Zeitungen. Ich las mich satt. Ich war glücklich. Dass ich hier sitzen und lesen konnte, dass ich die Zeitungen hatte kaufen können, machte alles, was mich früher vor jedem Zeitungskiosk hatte erschrecken und verstummen lassen, wieder gut. Ich war 26 Jahre alt, so alt, wie Susanne gewesen war, als sie bei der Ermordung von Jürgen Ponto die Türöffnerin gegeben hatte, und ich war nur froh. Schockiert zwar, aber froh.
    Muss ich das erklären? Die Tat, das Grauen über den Mord waren in dem Moment ihres Wiederauftauchens erst einmal in den Hintergrund getreten.
    Susanne hatte in meiner unmittelbaren Nähe gelebt. In Marzahn-Ahrensfelde, am nordöstlichen Ende der geteilten Stadt. Sie hieß nun Ingrid B., geborene Jäger. Sie war verheiratet und hatte einen Sohn. Sie

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