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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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nicht herangezogen. Man war sich nicht sicher, ob es sich nicht doch um ein »unpolitisches« Verbrechen handelte.
    Meine Mutter war die Erste, die – schon ein paar Tage nach dem 30. Juli – in Richtung Osten deutete. Wie aber dies äußern? Nur im engsten Familienkreis wurde darüber gesprochen – mit einer Ausnahme. 1978 sagte sie einem vertrauten Kollegen meines Vaters: »Das kommt doch alles aus dem Osten!« Er antwortete: »Dafür fehlt mir die Fantasie.«
    So weit reicht die Fantasie nicht war seitdem eine stehende Redewendung in unserer Familie. Erst im Juli 2007 sagte ich in einem Zeitungsinterview mit der Überschrift Für die Aufklärung mangelt es an Fantasie: »Es wächst mein Zweifel, dass wir die komplette Wahrheit über die Geschehnisse und ihre Zusammenhänge erfahren werden, besonders auch über die sogenannte dritte Generation der RAF . Aber einzelne Puzzleteile werden noch auftauchen, auch was die Rolle der Stasi … betrifft« und bemerkte dazu: »Ein bisschen mehr Offenheit für das John-le-Carré-Milieu hätte den polizeilichen wie den journalistischen Ermittlungen gutgetan.«
    Daraufhin erwiderte ein langjähriger Ermittler der Bundesanwaltschaft in der Zeitschrift Cicero selbstsicher: »Wir sind Mitglieder einer Behörde. Da finden Sie ausgesprochen viel Papier und ausgesprochen wenig Hollywood-Action.« Wie kommt es dann aber, dass das BKA in einer Stasi-Akte als Quelle einer vertraulichen Information zu einem beendeten RAF – Hungerstreik genannt wird ( BS t U , HA XXII 37/B221) und sich an anderer Stelle ( BS t U , HA XXII 39) mit Datum vom 23. Mai 1981 der Hinweis findet: »Aus der Leitungsebene des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Köln gelangte zur Kenntnis …«? Wer hat da Informationen weitergegeben?
    Inzwischen wissen wir, auf welch gespenstische Weise Berlin in den Sechziger- und Siebzigerjahren von Spitzeln und »inoffiziellen Mitarbeitern« durchsetzt war. Warum sollten die Maulwürfe an der Stadtgrenze Berlins haltgemacht haben? Verbindungsleute, Kuriere und Finanzverwalter mussten in vielen europäischen, arabischen und südamerikanischen Ländern tätig gewesen sein, damit die internationale Terrorkommunikation garantiert war. Das Schattendasein, das ihnen ihr Wirken damals ermöglichte, ist ihnen auch heute noch, komplett von Schweigemauern geschützt, vergönnt.
    Die Handvoll Banküberfälle der Terrorbande, über die damals viel berichtet wurde, konnte wohl kaum die gesamte RAF – Logistik – Wohnungen, Flüge, Reisen, Waffen, Autosund Falschpässe – finanzieren; vielleicht waren sie willkommene Inszenierungen, um von der wirklichen Logistik abzulenken? An dem bis heute vermittelten Bild – da war eine kleine, mitunter coole, ursprünglich auch ernst zu nehmende Gruppe, deren Urmotivation sogar noch verständlich war, die dann aber zu weit gegangen ist – muss gerüttelt werden. Es war viel, viel mehr. Waren sie Hauptdarsteller oder Statisten? Sie werden wohl beide Rollen ausgefüllt, mehrere Parts übernommen haben – ob sie selbst immer wussten, in welcher Rolle sie gerade steckten, bezweifele ich. Sie glaubten, sie schrieben das Drehbuch selbst, doch dahinter führten andere Regie.

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»Hast du schon
Nachrichten gehört?«
Julia Albrecht
    13 Jahre, fast auf den Tag genau 13 Jahre war meine Schwester verschwunden. Vom Erdboden verschluckt, abgelegt im Gehirn, weggeflogen ins All. Aber es ist wirklich so: Egal, wie lange jemand weg ist, man wartet. Man wartet eine Stunde oder einen Tag, ein Jahr oder eben auch 13 Jahre lang. Ich habe nicht jeden Tag gewartet. Manchmal habe ich es vergessen. Je länger es dauerte, desto öfter gab es Tage, an denen ich vergaß, was fehlte. Wer fehlte. Dennoch war die Abwesenheit, die Abwesende, immer bei mir. Ich habe sie nicht fallen gelassen oder aufgegeben.
    Keiner in unserer Familie hat je daran gedacht, sie für tot erklären zu lassen. Im Gegenteil. Meine Eltern haben sie in den Jahren ihrer Abwesenheit in ihren Testamenten bedacht. Auch waren sie nie bereit anzunehmen, dass sie so verwerflich gehandelt hatte, wie die bekannten Fakten es nahelegten. Die meisten in unserer Familie hielten es mit einer der zentralen Vorschriften der Strafprozessordnung und ließen für sie die Unschuldsvermutung gelten.
    Meine Eltern haben den unendlichen Verlust wahrscheinlich viel schärfer empfunden als ich. Doch sie haben weitergemacht, das war eine Devise meines Vaters: weitermachen. Meine Mutter, die sich schon immer für

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