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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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schon vor Susannes Festnahme und vor dem Prozess geahnt haben musste, dass es doch anders gewesen sein könnte. Denn er erfuhr, dass sie wohl nicht nur an dem Anschlag auf Jürgen Ponto, sondern eventuell auch an anderen Terrorakten beteiligt gewesen sein könnte.
    In einem Aktenvermerk der Bundesanwaltschaft von einem Telefonat mit meinem Vater vom 31. Januar 1979 (ich weiß nicht, wie er in seine Hände gelangt war) wird festgehalten: »Daraufhin wurde ihm [meinem Vater] erklärt, dass in den verschiedensten konspirativen Wohnungen Fingerabdrücke seiner Tochter gesichert werden konnten. (…) In leicht erregtem Tonfall erklärte RA [Rechtsanwalt] Albrecht zu diesem Punkt des Gesprächs, dass er um ein weiteres Mal erschüttert sei und dieses seiner Ehefrau gar nicht mitteilen könne.«
    Ich denke, mein Vater hat diese Information für sich behalten. Denn ich kann mich nicht daran erinnern, vor ihrer Festnahme gewusst zu haben, dass das BKA meine Schwester verdächtigte – um nichts anderes ging es hier –, in weitere Straftaten verwickelt zu sein.
    Wie auch immer – weitgehend Konsens, wenn auch nicht deutlich ausgesprochen, war in unserer Familie, dass Susanne sich an der Ermordung von Jürgen Ponto nicht ausfreien Stücken und nicht als »echtes« Mitglied der RAF beteiligt hatte. Wir hielten zäh daran fest, dass nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Wir hielten fest an dem, was wir uns selbst zuzumuten bereit waren. Die Fakten lagen auf dem Tisch. Nur wollten wir sie nicht wahrhaben.

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Der Prozess
Julia Albrecht
    Der Prozess gegen meine Schwester begann am 25. April 1991 in Stuttgart-Stammheim. Ausgerechnet. Ich fand es so eindrucksvoll wie lächerlich, dass die Verhandlung an diesem symbolträchtigen Ort abgehalten wurde. Weil ich von Anfang bis Ende dabei sein wollte, verschob ich mein erstes juristisches Staatsexamen um ein Semester. Für die Prozesstage fuhr ich von Berlin nach Stuttgart.
    Der erste Prozesstag. Der Gang durch die Sicherheitsschleuse in Gedanken überlagert von der ganzen Terroristenprozess-Geschichte Stammheims. Die Überprüfung von Körper und Sachen. Ich nahm an, dass auch das Personal vor Ort die Prozedur ein wenig lächerlich fand. Es waren nicht mehr die Siebziger-, sondern die Neunzigerjahre.
    Für mich hatte das Scannen von Körper und Sachen allein symbolische Bedeutung. Es war wie ein Ritual, das man absolvieren musste, um von der einen in die andere Welt zu gelangen. Eine Welt, in der es um meine wiedergefundene Schwester ging. Endlich konnte ich unbeobachtet und ohne jede Angst dabei sein. Die Stammheimer Hallen waren der ideale Ort für meine Verfassung. So steril, wie man es aus dem Fernsehen kannte, und damit offen für jede Fantasie. Ein düsterer Vorraum, ein großer Verhandlungssaal mit fest verankerten Plastik-Schalenstühlen, quietschgrün oder knallorange – ich habe es mir nicht gemerkt.

    Meine Schwester erschien mit ihrem Anwalt von vorne rechts. Sie war schlicht frisiert und schlicht gekleidet. Ihre Erscheinung rief allen entgegen: Schont mich, ich bin nicht das Monster, als das die Zeitungen mich in den Siebzigerjahren gezeichnet haben. Ich bin harmlos. Man hätte sich darüber lustig machen können – aber das tat niemand, auch keiner der anwesenden Journalisten. Meine Schwester hatte ein Kind und einen Mann. Sie wollte leben, endlich leben und dem Teufelskreis der völligen Entfremdung entkommen – so zumindest stellte ich es mir vor. Sie hatte fast zehn Jahre in der DDR ein bieder angepasstes Leben geführt. Sie war 41 Jahre alt und hatte – wenn es gut für sie lief – noch ein halbes Leben vor sich.
    Ich hatte meinen Stift und mein Papier, vor allem aber hatte ich Zeit, mich diesem Prozess – im doppelten Sinne des Wortes – zu widmen. Endlich konnte ich mich in Ruhe damit beschäftigen zu verstehen, was geschehen war. Und endlich hatte sie Zeit für mich. Endlich war es vorbei mit dem Versteckspiel. Das war ein öffentliches Verfahren, und ich konnte machen, was ich wollte.
    Ich schrieb vom ersten Moment an, so gut es eben ging, jedes Wort mit. Und versuchte mich einzufinden in das, was aus ihrer Sicht geschehen war. Ich hörte der Darstellung ihres Lebens und der Tat zu. Ich beobachtete sie. An ihrer Seite saß Dr. Wandschneider, ein kluger und erfahrener Anwalt aus Hamburg, sehr freundlich, sehr nett, Angehöriger der Generation unseres Vaters, der zu dem Eindruck »verschont mich, ich will nichts Böses und ich wollte nie etwas

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