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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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ich habe daraus für später gelernt. Jemand, der wie ich im Gespräch so tief in das Leben anderer eindringt, übernimmt immer Verantwortung. Egal, ob er Arzt ist, Geistlicher – oder Buchautor.

21 Wochen, fünf Tage
    A ls sie einander vier Jahre kannten, kauften Yvonne und Johannes Halter in einer Kleinstadt ein restauriertes Bauernhaus aus dem Jahr 1672. Kachelofen, knarzende Dielen, niedrige Decken, in die dunkelbraune Holzbalken eingezogen waren. Im großen Garten wollten sie Gemüse anbauen. Sie hatten lange gesucht. Hier sollten ihre Kinder groß und sie beide alt werden, das war der Plan. Sie waren glücklich, ganz in ihrem eigenen Leben angekommen zu sein, und ließen sich in der katholischen Kirche trauen. Die Gäste kochten und backten fürs Büfett, so hielten sich die Kosten im Rahmen. Wenn die Kinder da wären – sie wollte drei, er zwei –, würde sie ihre Arbeit als Kinderkrippenleiterin aufgeben, er verdiente als Förderschullehrer genug.
    Sie sprachen auch darüber, was wäre, wenn ein Kind behindert auf die Welt käme. Johannes wusste von klein auf, was das bedeutete – auch sein Vater hatte als Förderschullehrer geistig behinderte Kinder unterrichtet, er selbst hatte damals oft mit ihnen gespielt. Seine klare Meinung dazu: Er würde ihr Kind auch mit schwerer Behinderung lieben.
    Yvonne tat sich schwerer. Es käme auf den Grad der Behinderung an. Wenn es zu schlimm wäre, könnte ihre Beziehung daran zerbrechen, fürchtete sie. Yvonne war ohne Geschwister aufgewachsen und hoffte, als Mutter zu erleben, was ihr als Kind verwehrt geblieben war: dass die Kinder ihre Schulfreunde zum Mittagessen mitbrachten und nachmittags im Garten tobten. Dass die anderen Eltern auf ein Gläschen blieben, wenn sie sie abends abholten. Dass in ihrem Bauernhaus immer das Leben pulsierte.
    Als sie drei Jahre lang nicht schwanger wurde, ließen sie sich beide untersuchen. Es lag an ihm. »Ich würde auch adoptieren«, sagte er. »Es gibt so viele Kinder, die gute Eltern brauchen.« Sie aber wollte den Traum vom eigenen Kind noch nicht aufgeben, dachte an künstliche Befruchtung. Sie entschieden sich, beides zu versuchen.

    Die Großpraxis für Reproduktionsmedizin lag im Zentrum einer nahegelegenen bayerischen Universitätsstadt. Yvonne bekam Hormone verschrieben, die sie sich selbst in den kommenden Wochen spritzte. Sie regten ihre Eierstöcke dazu an, viele Eizellen zu Follikeln heranwachsen zu lassen. Eine weitere Spritze sollte den Eisprung auslösen. Während dieser Vorbereitungsphase weinte Yvonne oft und schämte sich dafür – sie waren doch ein glückliches Paar, und sie hatten noch so viel Zeit. Es war der Einfluss der Hormonbehandlung, manche Frauen bekamen darunter sogar Depressionen.
    Yvonne erwies sich als sehr fruchtbar. Im Mai waren 16 Follikel zu beachtlicher Größe herangewachsen, reif für die Entnahme. Eine schöne Ausbeute, sagte der Arzt. Als sie in Narkose gefallen war, führte er ihr einen Ultraschallkopf mit ausfahrbarer Nadel in die Vagina ein, punktierte die Eierstöcke und saugte die Follikel ab. Eines nach dem anderen verschwanden sie auf dem Ultraschallbild. In die Reagenzgläser tropfte rosafarbene Flüssigkeit, die Eizellen darin waren zu klein, als dass man sie mit bloßem Auge hätte sehen können. Eine Laborärztin schob die Proben sofort unters Mikroskop und zählte laut mit; nur keine vergessen, das wäre, als ob man eine Perle auf dem Meeresgrund liegen ließe. Dann nahm sie sich die Spermien vor, die Johannes schon gespendet hatte. Mit Pipette wählte sie diejenigen aus, die ihr am gesündesten erschienen, keine Vakuolen im Köpfchen, wohlgeformter Schwanz, nicht zu lang. Sie spritzte sie nacheinander in Yvonnes Eizellen. Intracytoplasmatische Spermieninjektion, kurz ICSI – diese Methode war für schwierige Fälle wie Johannes vorbehalten.
    Im Brutkasten verschmolzen Spermien und Eizellen miteinander. Fünf Tage später lag Yvonne wieder im Gynäkologenstuhl, gespreizte Beine, und der Arzt führte ihr die zwei Embryonen in die Gebärmutter ein, die sich bis dahin am besten entwickelt hatten. Diesmal war sie wach und bekam mit, wie er trocken kommentiere: »Mit besonders guter Ware haben wir es hier nicht zu tun.« Ein Medizinstudent stand daneben und blickte in ihren Schoß. Sie genierte sich.
    Sie kam nicht dazu, mit ihm über ihre Sorgen zu sprechen. Als er ihnen eine halbe Stunde später auf dem Gang begegnete, fragte sie: »Was passiert jetzt? Bleiben die

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