Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
Eizellen einfach so drin, oder könnten sie rausfallen oder rausgespült werden?« Der Arzt wandte sich an ihren Mann: »Sorgen Sie dafür, dass Ihre Frau ein bisschen runterkommt.« Bald darauf bekam sie ihre Tage. Diese Vorahnung! Sie hätte ihrem Gefühl vertrauen sollen, das ihr sagte, das hier sei ein Massenbetrieb. Nie mehr suchten die Halters die Praxis auf.
Fast ein Jahr ließen sie verstreichen, bis sie einen neuen Versuch wagten, diesmal in Frankfurt. Der Arzt, ein Professor mit rundem Gesicht und dichtem Schnurrbart, erinnerte sie an einen großen Teddybär. Er brachte sie schon im Aufnahmegespräch zum Lachen. Viel später würde sie über eine Studie lesen, der zufolge Lachen die Fruchtbarkeit erhöhte: An einer Klinik in Israel hatten Wissenschaftler Clowns zu ihren künstlich befruchteten Patientinnen geschickt und so die Erfolgsquote verdoppelt. Vielleicht war der Humor des Professors Teil einer perfekten Methode.
Jedenfalls brauchte er nur einen Versuch. Am 21. Juni 2010 entnahm er ihre Follikel und befruchtete sie mit Johannes’ Spermien. Anders als sein Vorgänger ließ er die Embryonen nur zwei Tage heranreifen, nicht fünf, obwohl dieses Verfahren schon damals als veraltet und weniger erfolgversprechend galt. Heute sagen die meisten Reproduktionsmediziner: Nach fünf Tagen im Brutschrank hat ein Embryo größere Chancen, im Mutterleib weiterzuwachsen, als eines, das nur zwei Tage in der Petrischale wachsen durfte.
Doch der Arzt war überzeugt von seiner Methode, und nachdem er die Embryonen in ihre Gebärmutter eingeführt hatte, sagte er: »Ein Zweizeller, ein Vierzeller, so wie es sein soll.« Sie war sich sicher, diesmal würde sie schwanger.
Am 5. Juli 2010 verlegte Johannes bei seiner Mutter im Hof Bodenplatten, als sein Handy klingelte. Yvonne! Tag 14 nach der Befruchtung, am Vormittag hatte sie einen Termin zur Blutentnahme gehabt. Die Mutter, die schon seit Tagen mitfieberte, eilte hinzu, versuchte, die Worte aus der Hörmuschel zu erhaschen.
»In unserem Leben wird jetzt vieles anders, Johannes«, sagte Yvonne, ihre Stimme brach. »Du wirst Vater!«
Er sagte: »Ah …«, »Hmmh …«, »Schade … dann der nächste Versuch …«
Seine Mutter nahm ihm die gespielte Enttäuschung ab. Bis er vor Glück laut lachte und sie in die Arme schloss.
Tag 25: Zwillinge, eindeutig, der Ultraschall ließ keine Zweifel zu. Vor Yvonnes Augen lief ein innerer Film ab, als der Professor es ausgesprochen hatte. Sie daheim, zwei Babys, das eine schreit nach der Brust, das andere hat die Windeln voll, gleich schließen die Geschäfte, nichts zu essen im Haus. Und Johannes weit weg in der Schule. Wie würde sie allein die ganze Arbeit geregelt bekommen?
Johannes freute sich sofort. »Wir wollten doch mindestens zwei Kinder, warum nicht gleich so?«
Yvonnes Bauch wuchs rasch, schon in der 14. Woche war für niemanden zu übersehen, dass sie schwanger war. Bald glaubte sie zu spüren, wie sich die beiden in ihr bewegten. Später würde sie froh sein, dass sie sich schon so früh in der Schwangerschaft als Mutter fühlte. Ihr würde nur wenig Zeit bleiben, in ihrem neuen Lebensabschnitt innerlich anzukommen.
Johannes riss die alte Badezimmereinrichtung im Wohngeschoss des Hauses raus und baute eine Stehdusche ein, damit sie als Hochschwangere keine Treppen mehr steigen müsste. Abends suchten sie im Internet Möbel für das Babyzimmer aus. Wenn Yvonne tagsüber allein unterwegs war, sah sie überall Mütter mit Zwillingen – ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie viele es gab.
Der Herbst kam, der Himmel blieb den ganzen Tag grau, Regen prasselte auf die Fenstersimse, und durch die alten Mauern drang die Feuchtigkeit ein. Yvonne fühlte sich unendlich müde. Eines Morgens hatte sie 39,5 Grad Fieber, eine schwere Grippe, die in eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung überging. Sie fühlte sich verletzlich, unfähig, das in ihr heranwachsende Leben zu schützen. In diesen Tagen befiel sie eine unbestimmte Angst.
Pater Raphael trug eine braune Kutte mit Kapuze und um die Hüfte eine Kordel. Er war stolz auf sein Habit – so nannten die Brüder das Gewand –, denn es gemahnte an den Gründer des Franziskanerordens, Franziskus von Assisi, der im 13. Jahrhundert als Mönch in einem Wollsack herumlief, weil er jegliche Symbole des Reichtums ablehnte.
Am späten Vormittag des 28. Oktober 2010 betrat Pater Raphael den Fahrstuhl des Klinikums Fulda. Hinter ihm schoben zwei
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