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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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sie diesen Tag erleben durfte. Er war zutiefst berührt.
    »Langzeitüberlebende« nennt die Wissenschaft Fälle wie Helmke Sears. Nicht zu verwechseln ist Langzeitüberleben mit »Spontanheilung«, also Heilung von einer Krebserkrankung, ohne dass der Patient eine von der Schulmedizin akzeptierte Therapie durchlaufen hätte. Die Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie des Klinikums Nürnberg hat bundesweit Fälle von Spontanheilungen gesammelt und nach harten Kriterien nachuntersucht. Von einigen tausend gemeldeten Fällen blieben gerade mal 21 übrig.
    Keine Statistik erfasst Patienten wie sie. Helmke Sears ist ein Ausreißer. Die Wissenschaft, stets fokussiert auf logische Bezüge zwischen Krankheit und Therapie, akzeptiert solche Fälle schulterzuckend. Es gibt keine große Studie, die die spannende Frage beantwortet, ob Langzeitüberlebende bestimmte Charaktereigenschaften und Verhaltensmuster haben oder ob in ihrer Therapie bestimmte, sehr individuelle Faktoren eine Rolle gespielt haben.
    Warum hat Helmke Sears überlebt? War es die Operation? War es ihr unbeugsamer Wille? War es ihre angeborene Fähigkeit zur »Visualisierung«, an die viele Ärzte glauben – dass sie sich also ihren Krebs schon immer vorstellte wie einen Feind? Waren es ihre Kinder und ihr liebender Ehemann Scott? War es die unerbittliche Konsequenz, mit der sie ihr Leben in den Jahren nach der Krankheit umpflügte? Und welche Rolle spielte bei ihrer Genesung das einzigartige Vertrauensverhältnis zu ihren Ärzten? Sie, die Misstrauische und Zweifelnde, hatte ihr Leben ohne Wenn und Aber in die Hände ihrer Chirurgen gelegt.
    Anthuber glaubt, es gibt nicht den einen Grund, es war alles zusammen. Vielleicht sogar auch die experimentelle Antikörpertherapie nach der Transplantation – obwohl diese einige Jahre später wegen Wirkungslosigkeit vom Markt genommen wurde.
    Damals wollte er den Fall Helmke Sears in einer Fachzeitschrift für Onkologie veröffentlichen. Als er den Artikel schon geschrieben hatte, entschied er sich dagegen. Andere könnten falsche Schlussfolgerungen aus dem Fall ziehen, fürchtete er. Patienten, die so schwer erkrankt sind wie damals Helmke Sears, hätten heute keine Chance auf eine neue Leber. Die Einzelfallregelung, über die sie auf die Warteliste gekommen war, gibt es längst nicht mehr.

    Frühjahr 2011, ein sonniger Tag auf der Terrasse des Hauses am See. Scott ist am Tag zuvor aus den USA angereist, Jessica aus Innsbruck, wo sie Touristik studiert. Nur Julian hat sich mittags von der seltenen Familienzusammenkunft zum Volleyballspielen absentiert – vielleicht, weil er weiß, dass heute der Krebs das Thema ist. Anders als Jessica hat er nie mit seiner Mutter darüber gesprochen. So war er schon als Kind. Bei Krankenhausbesuchen versteckte er sich immer hinter dem Rücken des Vaters.
    Zwischen ihnen auf der Terrasse trottet Sammy hin und her, ein Golden Retriever, zwölf Jahre alt, Knochenkrebs im Endstadium. Für Helmke ist er einer ihrer wichtigsten Begleiter in den Jahren nach der Krankheit – der Abschied wird schwer werden. Der Tierarzt wollte ihn schon vor vier Monaten einschläfern, doch Helmke hatte auf einer Amputation des Vorderlaufs und Chemotherapie bestanden. Warum sollte Sammy nicht die gleiche Chance bekommen wie sie selbst? Der Hund blinzelt in die Sonne und genießt die vielen Hände, die ihn streicheln. Es scheint, als hätte er mit dem Sterben gewartet, als wollte er noch diesen einen Tag mit seiner Familie erleben.
    Was ist stärker, die große Liebe des Lebens oder die Krankheit? Die Frage an Helmke und Scott hängt lange in der Luft, hallt nach. Beide schweigen, rühren in ihren Kaffeetassen. Scott, nach langem Nachdenken: »Wohl die Krankheit.«
    In dieser Nacht erleidet Sammy schwere Krampfanfälle. Am nächsten Tag lässt Helmke ihn einschläfern, zwei Wochen später verstreut sie seine Asche auf dem See. Es war richtig, denkt sie. Er hatte noch eine schöne Zeit. Sammy hat sie verloren, aber vielleicht Scott wiedergewonnen, hofft sie. Während sie hier steht, löst er gerade seine Wohnung in den USA auf.
    Einige Wochen später kommt er wieder zurück in das Haus am See. Seither leben sie wieder zusammen. Die Kinder sind glücklich, ihren Vater wiederzuhaben.

Epilog
    Heute hat sich die Prognose von Krebspatienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien dank verbesserter Chemotherapien und neuer Tumor-Antikörper-Therapien deutlich verbessert. Immer noch aber hätten Betroffene wie

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