Patria
Rose findet und ein Holzkreuz durchdringt« , sagte Pam. »Das ist es.«
Er war ihrer Meinung, dachte aber schon über die nächsten Worte nach.
Und Silber in Gold verwandelt.
Er blickte zu dem lodernd hellen Rosenfenster zurück und verfolgte die Sonnenstrahlen, die mit den schwebenden Stäubchen am Kreuz vorbei ins Kirchenschiff schienen. Unten zog das Licht eine lange Furche durch das Schachbrettmuster des Bodens am Mittelgang entlang. Die Touristen liefen herum und schienen den Lichtstrahl nicht zu beachten. Der Strahl reichte bis zum Volksaltar im Osten, wo er einen schwach leuchtenden Streifen auf den roten Teppich warf.
McCollum tauchte unter der Empore auf und hielt durch den Mittelgang auf die Ostseite der Kirche zu.
»Er wird sich fragen, wo wir sind«, sagte Pam.
»Der kommt uns schon nicht abhanden. Er scheint uns zu brauchen.«
McCollum blieb zwischen dem letzten der drei Säulenpaare stehen und sah sich suchend um. Dann drehte er sich um und entdeckte sie oben. Malone machte ihm ein Zeichen, unten zu warten, und signalisierte mit dem erhobenen Zeigefinger, dass er nur noch eine Minute brauchte.
Er hatte McCollum nichts vorgemacht. Er konnte wirklich gut Rätsel lösen. Dieses Rätsel hatte ihn zwar anfangs verwirrt, doch als er jetzt in die Kirche mit ihren hoch aufragenden Säulen und Bögen, den plastisch hervortretenden Gewölberippen und den gemeißelten Ornamenten hinabsah, in dieses harmonische Ineinander von Ranken und Linien aus Stein, die sich trotz ihres Alters und der mangelnden Pflege gut gehalten hatten, war ihm die Lösung vollkommen klar.
Sein Blick folgte den Strahlen der untergehenden Sonne, die in den Altarraum wanderten, den Hochaltar zu zerteilen schienen und schließlich auf den silbernen Altaraufsatz trafen.
Der golden aufleuchtete.
Aus der Nähe war ihm dieses Phänomen gar nicht aufgefallen. Vielleicht stand die sinkende Sonne aber auch jetzt erst im richtigen Winkel. Doch die Verwandlung war nun eindeutig.
Silber in Gold.
Er sah, dass es Pam ebenfalls aufgefallen war.
»Erstaunlich«, sagte sie. »Welche Wirkung das Licht hat.«
Das Rosenfenster war so gelegen, dass die Strahlen der untergehenden Sonne den Altaraufsatz zumindest für einige Minuten treffen mussten. Das silberne Retabel war offensichtlich ganz bewusst so aufgestellt worden. Man hatte dazu eines der sechs Gemälde, die den Hochaltar ursprünglich umgaben, entfernt und die den mittelalterlichen Erbauern so wichtige Symmetrie zerstört.
Malone dachte an den letzten Teil des Rätsels:
Suche den Ort, der eine Adresse ohne Ort darstellt, und an dem ein anderer Ort zu finden ist.
Er ging zur Treppe.
Unten angekommen, trat er zu den Samtseilen, die noch immer den Zugang zum Chor versperrten. Das Zusammenspiel von schwarzem, weißem und rotem Marmor verlieh diesem Teil der Kirche eine besonders edle Note, die durchaus passend wirkte, da hier das Mausoleum der Königsfamilie war. Der Altaraufsatz befand sich zehn Meter weiter vorn, doch es war nicht vorgesehen, dass Besucher sich ihm noch weiter näherten. Der Priester am Volksaltar verkündete, dass Kirche und Kloster in fünf Minuten geschlossen würden. Viele Reisegruppen hatten die Kirche schon verlassen, und nun wandten sich auch die restlichen Besucher zum Gehen.
Malone war zuvor schon aufgefallen, dass das Altarretabel ein Türchen hatte, auf dem ein Bild prangte. Dort war wohl früher der Tabernakel für die Hostien gewesen. Vielleicht wurde darin ja immer noch eine geweihte Hostie aufbewahrt. Auch wenn die Kirche inzwischen Weltkulturerbe und mehr eine Attraktion für Touristen als ein Ort für Gottesdienste war, fanden hier zu den hohen Festen vermutlich immer noch Messen statt. Ganz ähnlich wie in St. Paul und Westminster Abbey. Das würde auch erklären, warum die Touristen vom Allerheiligsten der Kirche ferngehalten wurden.
McCollum trat zu Malone. »Ich habe die Eintrittskarten.«
Malone zeigte auf den Altaraufsatz: »Ich muss mir das Retabel einmal näher anschauen, und zwar ohne die ganzen Leute hier.«
»Das dürfte schwierig werden. Vermutlich werden hier gleich alle rausgescheucht.«
»Eigentlich kommen Sie mir nicht wie ein Mann vor, der sich immer brav an die Regeln hält.«
»Sie mir auch nicht.«
Malone dachte daran, was er und Stephanie an einem verregneten Juniabend in Avignon getan hatten.
»Dann sollten wir uns ein Versteck suchen, bis alle weg sind.«
Stephanie schlich sich auf Zehenspitzen in das winzige
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