Patria
sie.«
»Ihre Mutter fehlt Ihnen nicht?«, fragte Gary.
Obgleich der Junge seine Ermahnung missachtet hatte, nahm Thorvaldsen ihm seine Frage nicht übel. Eigentlich war er selbst ziemlich neugierig.
»Natürlich fehlt sie mir. Nur standen wir uns eben einfach nicht nahe – als Mutter und Tochter.«
»Wie mir scheint, interessieren Sie sich in letzter Zeit sehr für die Familiengeschäfte und den Orden.«
Er sah ihr an, wie ihre Gedanken rotierten. Äußerlich hatte sie mehr von der robusten österreichischen Art ihres Vaters als von der preußischen Schönheit ihrer Mutter geerbt. Mit ihrem dunklen Haar, den braunen Augen und der langen schmalen Nase war sie keine besonders attraktive Frau, doch andererseits konnte er mit seinem Buckel, den struppigen Augenbrauen und der gegerbten Haut sich da auch kein Urteil erlauben. Er fragte sich, ob es Männer in ihrem Leben gab, kam aber zu dem Schluss, dass diese Frau sich niemals einem Mann hingeben würde. Sie war jemand, der nahm, aber nicht gab.
»Ich bin die letzte Vertreterin der Familie Hermann.« Das sagte sie mit einem Lächeln, das beruhigend wirken sollte, doch ihre Verärgerung war deutlich zu merken.
»Heißt das, dass Sie all das hier erben werden?«
»Natürlich. Wer sonst?«
Thorvaldsen zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung, was Ihr Vater vorhat, aber ich habe festgestellt, dass auf der Welt nichts sicher ist.«
Er sah, dass seine Anspielung ihr nicht gefiel. Er ließ ihr keine Zeit zu einer Erwiderung, sondern fragte sofort: »Warum hat Ihr Vater diesem Jungen so übel mitgespielt?«
Sie reagierte bestürzt. Offensichtlich hatte sie ihre Gefühle im Gegensatz zu ihrem Vater nicht unter Kontrolle.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
Ob das stimmte? Vielleicht hatte Hermann ihr seine Pläne ja verheimlicht.
»Dann wissen Sie auch nicht, was Adlerklaue gerade macht?«
»Der geht mich nichts …« Sie brach mitten im Satz ab.
»Keine Sorge, meine Teure. Ich weiß über ihn Bescheid und wollte nur wissen, ob Sie auch informiert sind.«
»Dieser Mann ist ein Problem.«
Jetzt wusste Thorvaldsen, dass sie nicht richtig eingeweiht war. Sonst hätte sie nie so viel preisgegeben. »Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber wie Sie schon sagten, geht er weder Sie noch mich etwas an. Die Verantwortung liegt allein beim Vorstand.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass die Mitglieder über ihn Bescheid wissen.«
»Ich weiß über viele Dinge Bescheid. Und vor allem über so einiges, was Ihr Vater tut. Auch das ist ein Problem.«
Sie schien zu begreifen, wie ernst er es meinte, und ihr plumpes Gesicht verzog sich zu einem nervösen Lächeln. »Vergessen Sie nicht, wo Sie sind, Henrik. Sie befinden sich hier auf dem Grund und Boden der Hermanns. Hier bestimmen wir, was geschieht. Und Sie geht das gar nichts an.«
»Das ist eine interessante Bemerkung. Ich werde mich bemühen, sie nicht zu vergessen.«
»Ich denke, dass Sie dieses Gespräch besser mit meinem Vater fortführen sollten.«
Doch als sie sich zum Gehen wandte, hob Thorvaldsen die Hand und gab ein Zeichen.
Aus einem dichten Wäldchen dicker, alter Zypressen traten plötzlich drei Männer in Tarnkleidung und rannten auf den Pavillon zu. Sie erreichten ihn gerade in dem Augenblick, als Margarete aus dem Häuschen trat.
Zwei der Männer packten sie.
Einer hielt ihr den Mund mit der Hand zu.
Sie wehrte sich.
»Henrik, was macht denn Jesper hier?«, fragte Gary.
Der Kammerdiener war der dritte Mann. Er war vor kurzem mit dem Flugzeug eingetroffen und hatte sich auf das Gelände geschlichen. Von früheren Besuchen wusste Thorvaldsen, dass die Sicherheitsleute sich – im Gegensatz zu Margaretes Behauptung – fast nur auf das Haus konzentrierten. Der Rest des riesigen Landbesitzes war weder eingezäunt noch bewacht.
»Halten Sie still«, forderte er Margarete auf.
Sie gab ihren Widerstand auf.
»Sie begleiten diese Herren hier.«
Sie schüttelte heftig den Kopf.
Er hatte erwartet, dass sie Schwierigkeiten machen würde. Daher nickte er, und einer seiner Männer drückte ihr ein Tuch auf den Mund, das mit einer einschläfernden Substanz getränkt war, die innerhalb von Sekunden wirkte und Margaretes Körper zusammensinken ließ.
»Was machst du da?«, fragte Gary. »Warum tust du ihr weh?«
»Ich tue ihr nicht weh. Aber ich versichere dir, dass deine Entführer dir wehgetan hätten, wenn dein Vater dich da nicht rausgeholt hätte.« Er sah Jesper an. »Pass gut auf sie auf, so wie wir
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