Patria
Regeln verletzen, die ihn in den zwölf Jahren beim Magellan-Billet am Leben erhalten hatten. Die wichtigste Regel war ziemlich eindeutig – Geh niemals irgendwo rein, wenn du nicht weißt, wie du wieder rauskommst. Aber ihm ging auch etwas anderes durch den Sinn, das er gelernt hatte: Wenn es schlecht steht, kann alles verkehrt sein, auch Untätigkeit.
»Eins solltest du wissen«, sagte Haddad. »Dieser Mann ist dafür verantwortlich, dass dein Sohn entführt wurde, und er hat dein Antiquariat abgefackelt. Er trägt ebenso viel Verantwortung dafür, dass du jetzt hier vor mir stehst, wie ich. Er hätte Gary auch getötet. Und dich wird er ebenfalls töten, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Woher wissen Sie das mit Gary?«, fragte Pam.
»Die Hüter haben Zugang zu einer Fülle von Informationen.«
»Und wie bist du hier Bibliothekar geworden?«, fragte Malone.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Darauf möchte ich wetten. Wenn das hier vorbei ist, müssen wir beide uns mal in Ruhe unterhalten.«
Haddad grinste. »Ja, alter Freund, wir werden ein langes Gespräch führen.«
Malone zeigte auf Pam und bat Haddad: »Pass auf, dass sie hierbleibt. Sie tut nämlich nie, was man ihr sagt.«
»Geh schon«, sagte Pam. »Wir werden bestimmt klarkommen.«
Malone beschloss, endlich zu handeln, und eilte durch den Mittelgang davon. Am Durchgang blieb er stehen. In sechs Metern Entfernung öffnete sich der nächste Saal. Auch hier gab es lange Reihen mit steinernen Behältern, Bilder, Buchstaben und Mosaike an den hohen Wänden. Dicht an die glatte Wand gepresst, schlich er weiter. Im zweiten Saal angekommen, duckte er sich sofort hinter das Kopfende einer steinernen Magazinreihe. Der Raum war fast quadratisch, und Malone entdeckte Schriftrollen und Kodizes.
Nichts regte sich. Was er hier tat, war wirklich ziemlich unvernünftig. Er ließ sich immer tiefer in die Anlage locken. Irgendwann würde McCollum zuschlagen, und zwar zu Bedingungen, die er selbst gewählt hatte.
Aber wann und wo?
Haddad beobachtete Pam Malone. In London hatte er versucht, sich ein Bild von ihr zu machen, und sich dabei gewundert, warum sie überhaupt dort gewesen war. Die Hüter hatten persönliche Informationen über Cotton Malone zusammengetragen, Dinge, über die Haddad nur wenig wusste, denn Malone hatte selten von Frau und Kind erzählt. Ihre Freundschaft war eher akademischer Art gewesen, da sie vor allem die Liebe zu Büchern und eine hohe Achtung vor Wissen verband. Doch der alte Mann wusste genug über Malones Verhältnisse, und nun war die Zeit gekommen, dieses Wissen zu nutzen.
»Wir müssen dorthin zurück«, sagte er.
»Cotton hat gesagt, wir sollen hierbleiben.«
Haddad warf ihr einen durchdringenden Blick zu. »Wir müssen dorthin zurück.« Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, zog er eine Pistole unter seinem Mantel hervor.
Zu seiner Überraschung zuckte sie mit keiner Wimper. »Ich habe gesehen, wie Sie McCollum angeschaut haben.«
»Unter diesem Namen hat er sich eingeführt?«
Sie nickte.
»Sein richtiger Name ist Sabre, und er ist ein Killer. Was ich in meiner Wohnung in London gesagt habe, war vollkommen ernst gemeint. Ich muss eine alte Schuld begleichen, und ich werde nicht zulassen, dass Cotton sie bezahlt.«
»Das habe ich in Ihren Augen gesehen. Sie wollten, dass er schießt. Aber Sie wussten, dass er es nicht tun würde.«
»Männer wie Sabre gehen Risiken normalerweise aus dem Weg. Sie heben ihren Wagemut für Situationen auf, in denen es wirklich darauf ankommt. Wie zum Beispiel jetzt.«
»Sie haben im Voraus gewusst, was passieren würde?«
Er zuckte die Achseln. »Gewusst, geahnt, gehofft. Ich weiß es nicht. Wir haben Sabre beobachtet. Wir wussten, dass er in Kopenhagen irgendetwas vorhatte, und als er Gary entführte, war uns klar, dass er eigentlich hinter mir her war. In diesem Moment beschloss ich, in die Sache einzusteigen. Mein zweites Telefonat mit Palästinensern in der West Bank wurde von israelischen Spionen abgehört, und das hat Israel in Bewegung gesetzt. In Lissabon begriff ich dann, wie ich Sie alle drei hierherführen konnte, ohne dass die Israelis etwas davon mitbekamen.«
»Und all das haben Sie getan, um dann hier zu sterben?«
»Ich habe es getan, um die Bibliothek zu beschützen. Sabre arbeitet für eine Organisation, die das Wissen, das unsere Bibliothek enthält, mit Sicherheit für ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Zwecke ausnutzen will. Diese Leute
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