Patria
Mehrheit der Anteile der VRN-Bank, die in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Holland tätig war. Ein weiterer dominierte den europäischen Effektenmarkt mit seinen Finanzgesellschaften, die in zahlreichen Staaten der europäischen Gemeinschaft agierten. Der dritte war Alleininhaber zweier französischer und einer belgischen Gesellschaft, die gemeinsam die größten Flugzeughersteller außerhalb Amerikas darstellten. Und der vierte war der selbsternannte »Betonkönig«, dessen Firmen in Europa, Afrika und dem Nahen Osten marktbeherrschend waren.
»Eine ziemlich beeindruckende Gruppe«, sagte Stephanie.
»Ja, gelinde ausgedrückt. Der Vorstand, den seit jeher ein unverkennbar arischer Hauch umweht, hat sich immer aus Deutschen, Schweizern und Österreichern zusammengesetzt. Die Stühle werden von den Mitgliedern gewählt und behalten ihr Amt ihr ganzes Leben lang. Mit jedem Vorstand wird gleichzeitig auch ein Stellvertreter gewählt, der im Todesfall sofort einspringen kann. Der Blaue Stuhl wird von den anderen Stühlen gewählt, und zwar ebenfalls auf Lebenszeit.«
»Ein ziemlich effizienter Haufen.«
»Darauf sind sie stolz. Es gibt zweimal jährlich eine offizielle Vollversammlung, einmal im späten Frühjahr und einmal kurz vor Winteranfang. Die Versammlung findet auf dem hundertsechzig Hektar großen Landgut statt, das Alfred Hermann in der Nähe von Wien besitzt. Den Rest des Jahres werden die Geschäfte durch den Vorstand oder durch ständige Ausschüsse wahrgenommen. Es gibt einen Verwaltungsvorsteher, einen Schatzmeister, einen Sekretär und außerdem einige unterstützende Mitarbeiter in Hermanns Landschloss. Die Organisation ist absichtlich straff und überschaubar gehalten, damit es keine Verzögerungen durch unnötig belastende demokratische Verfahrensweisen gibt.«
Stephanie kritzelte Notizen auf ihren Block.
»Der Blaue Stuhl hat kein Stimmrecht, weder im Vorstand noch bei der Vollversammlung, außer bei Stimmengleichheit. Diese Möglichkeit ergibt sich aus der ungeraden Zahl von fünf Vorständen und einundsiebzig Mitgliedern.«
Thorvaldsen war mit seinen Ermittlungen wirklich weit gekommen, das musste Stephanie ihm lassen. »Erzählen Sie mir etwas über die Mitglieder.«
»Der Orden ist überwiegend europäisch, aber derzeit befinden sich vier Amerikaner, zwei Kanadier, drei Asiaten, ein Brasilianer und ein Australier unter den einundsiebzig Mitgliedern, unter denen auch Frauen sind. Frauen wurden schon vor Jahrzehnten zugelassen. Die Fluktuation ist minimal, doch es gibt eine Warteliste, und so bleibt die Zahl von einundsiebzig Mitgliedern immer erhalten.«
»Warum ist der Sitz in Österreich?«, fragte Stephanie neugierig.
»Aus demselben Grund, aus dem viele Amerikaner dort ihr Geld angelegt haben. In der österreichischen Verfassung ist die Verletzung des Bankgeheimnisses ausdrücklich verboten. Daher lassen sich finanzielle Transaktionen nur schwer zurückverfolgen. Finanziell steht der Orden ausgezeichnet da. Alle Mitglieder zahlen denselben Beitrag entsprechend eines im Voraus aufgestellten Projektplans. Letztes Jahr waren das mehr als hundertfünfzig Millionen Euro.«
»Und wofür geben sie das ganze Geld aus?«
»Für etwas, das seit Jahrhundert heiß begehrt ist – für politischen Einfluss. In diesem Fall geht es überwiegend um die Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft, die gemeinsame Währung in allen Mitgliedsstaaten durchzusetzen und die Handelsbarrieren abzubauen. Inzwischen interessiert man sich auch sehr für die neu hinzugekommenen osteuropäischen Staaten. Mit dem Wiederaufbau der Infrastruktur Tschechiens, der Slowakei, Ungarns, Rumäniens und Polens lässt sich enorm viel Geld verdienen. Durch einige sorgfältig platzierte kleine Zuschüsse haben die Mitglieder mehr als ihren gerechten Anteil am Kuchen abbekommen.«
»Aber Henrik, man gibt doch keine hundertfünfzig Millionen Euro dafür aus, ein paar Aufträge an Land zu ziehen und ein paar Politiker zu bestechen.«
»Richtig. Die Gruppe hat noch ein wichtiges anderes Ziel.«
Sie wurde allmählich ungeduldig. »Ich warte.«
»Den Nahen Osten. Das ist ihre oberste Priorität.«
»Woher um Himmels willen wissen Sie das alles eigentlich?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.
Sie wartete.
»Ich bin dort Mitglied.«
19
London
12.30 Uhr
Malone ging neben Pam die Gangway des British-Airways-Flugzeugs hinunter. Sie hatten die Nacht in Christiangade verbracht und waren dann gemeinsam von
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