Patria
Gegenteil.
Jetzt konnte es endlich richtig losgehen.
ZWEITER TEIL
17
Mittwoch, 5. Oktober
Wien, Österreich
14.30 Uhr
Sabre hielt am Tor und ließ das Seitenfenster auf der Fahrerseite herunter. Er wies sich nicht aus, doch der Wächter winkte ihn sofort durch. Das weitläufige Landschloss lag fünfzig Kilometer südwestlich des Zentrums von Wien im Wienerwald, einem waldreichen Mittelgebirge. Der drei Jahrhunderte alte barocke Prachtbau barg unter einem steilen, schiefergedeckten Dach und dem senfgelben Verputz fünfundsiebzig geräumige Zimmer und Säle.
Sonnenstrahlen fielen durch die beschlagene Scheibe des Audis, und Sabre stellte fest, dass weder auf der Zufahrt noch auf den Parkflächen am Rand Autos standen. Bis auf die Wächter am Eingangstor und die paar Gärtner, die die Wege säuberten, lag das Anwesen ziemlich verlassen da.
Anscheinend sollte es ein Gespräch unter vier Augen werden. Sabre parkte in einem Carport, stieg aus und spürte die milde Nachmittagsluft. Er knöpfte seine Burberry-Jacke zu und schlug den gekiesten Weg zum Schmetterlingshaus ein, einem kleinen Gebäude aus Stahl und Glas, das etwa hundert Meter südlich vom Hauptgebäude entfernt stand. Mit seinem schlichten grünen Anstrich und den aus Hunderten von Glaspaneelen bestehenden Wänden fügte das beeindruckende Bauwerk aus dem neunzehnten Jahrhundert sich mühelos in die bewaldete Umgebung ein. Im Inneren des Gebäudes wuchsen in einer besonders aufbereiteten Erde die unterschiedlichsten exotischen Pflanzen, doch seinen Namen Schmetterlingshaus hatte das Gebäude den Tausenden von Schmetterlingen zu verdanken, die dort frei herumflatterten.
Mit einem Ruck öffnete Sabre eine wacklige Holztür und betrat den schmutzigen Boden des Vorraums. Ein Ledervorhang hinderte die warme, feuchte Luft am Entweichen.
Sabre schob sich hindurch.
Schmetterlinge tanzten in der Luft zu leiser instrumentaler Musik. J.S. Bach, wenn er sich nicht irrte. Viele der Pflanzen blühten, und die stille Szene bildete einen verblüffenden Kontrast zu den herbstlich kahlen Bäumen, die durch das beschlagene Glas zu erkennen waren.
Zwischen den Pflanzen saß der Besitzer des Gebäudes, der Blaue Stuhl. Er hatte das Gesicht eines Mannes, der im Laufe seines Lebens zu viel gearbeitet, zu wenig geschlafen und keinen Gedanken an eine gesunde Ernährung verschwendet hatte. Der alte Mann trug einen Tweed-Anzug über einer Strickjacke, was Sabre ziemlich seltsam vorkam. Aber dann dachte er, dass kaltblütige Wesen eben viel Wärme brauchten.
Er legte seine Jacke ab und trat zu einem Holzstuhl.
»Guten Morgen, Herr Sabre«, sagte sein Gegenüber auf Deutsch.
Sabre setzte sich und erwiderte den Gruß. Anscheinend war heute Deutsch die Sprache des Tages.
»Pflanzen, Dominick. Ich habe Sie das nie gefragt, aber wie viel wissen Sie eigentlich darüber?«
»Ich weiß nur, dass Pflanzen aus Kohlendioxyd Sauerstoff erzeugen.«
Der alte Mann lächelte. »Ist das etwa alles, was sie leisten? Was ist mit all ihrer Farbe, Wärme und Schönheit?«
Sabre betrachtete den ins Glashaus verpflanzten Regenwald, beobachtete die Schmetterlinge und lauschte der friedvollen Musik. Ihm lag nichts an einer beruhigenden Atmosphäre, aber das musste er ja nicht unbedingt laut sagen, und so antwortete er nur: »Pflanzen haben ihren Platz in der Welt.«
»Wissen Sie etwas über Schmetterlinge?«
Der alte Mann hielt einen Teller auf dem Schoß, der mit bräunlich verfärbtem Bananenbrei verschmiert war. Insekten mit saphirblauen, karmesinroten und elfenbeinweißen Flügeln naschten eifrig an der Gabe.
»Sie werden vom Geruch angelockt.« Der alte Mann strich sanft über ein Flügelpaar. »Das sind wunderschöne Geschöpfe. Fliegende Schmuckstücke, die die Welt mit einer Explosion von Farbe bereichern. Leider leben sie nur einige wenige Wochen, bevor sie sich in organischen Dünger verwandeln.«
Vier grünlich goldene Schmetterlinge kamen geflogen und ließen sich zum Festschmaus nieder.
»Diese Art ist recht selten. Papilio dardanus. Der Schein-Schwalbenschwanz. Die Puppen führe ich eigens aus Afrika ein.«
Sabre, der Insekten verabscheute, bemühte sich, interessiert zu wirken, und wartete.
Schließlich fragte der alte Mann: »Ist in Kopenhagen alles gut gelaufen?«
»Malone ist auf dem Weg, um diese Connection zu finden.«
»Genau wie Sie es vorhergesagt haben. Woher wussten Sie das?«
»Ihm bleibt keine andere Wahl. Um seinen Sohn zu beschützen, muss er die Connection
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