Patria
nach dem Krieg von 1948 kam irgendetwas über mich, und die Bibel wurde zu meiner Leidenschaft. Ich wollte sie in ihrer ursprünglichen Form lesen, um herauszufinden, was wirklich darin stand.«
»Warum wollen die Israelis deinen Tod?«, fragte Malone.
»Sie sind die Nachkommen Abrahams. Die Menschen, von denen Gott sagte, dass er sie segnen und ihre Feinde verfluchen werde. Nur um diese Worte zu beweisen, sind im Laufe der Jahrhunderte Millionen von Menschen gestorben und allein in den letzten fünfzig Jahren Tausende. Vor kurzem wurde ich in eine Diskussion verwickelt, Cotton. In einer Kneipe hier in der Nähe erklärte mir ein ganz besonders arroganter Typ, dass Israel ein absolutes Existenzrecht besitze. Er nannte mir sechs Gründe für dieses Existenzrecht, nämlich archäologische, historische, praktische, humanitäre und strategische, doch für ihn war der wichtigste Grund die Rechtmäßigkeit des Anspruchs.« Haddad hielt inne. »Die Rechtmäßigkeit, Cotton, die aus der Bibel abgeleitete Rechtmäßigkeit. Gottes Bund mit Abraham. Dem israelischen Volk gibt er es zu eigen, so wie es in der Genesis in aller Pracht geschildert ist.«
Malone wartete.
»Was aber, wenn wir das alles vollkommen falsch verstanden hätten?« Haddad starrte auf die Landkarte Israels, die neben einer Karte Saudi-Arabiens hing.
»Sprechen Sie weiter«, hörte man plötzlich eine Stimme.
Alle drehten sich um.
In der Eingangstür stand ein kleiner Mann mit Brille und beginnender Glatze, neben ihm eine kleine, untersetzte Frau Mitte dreißig mit dunklem Teint. Beide hielten Pistolen mit Schalldämpfern in den Händen. Malone erkannte das Modell sofort und wusste, für wen diese beiden arbeiteten.
Für Israel.
24
Washington DC
09.50 Uhr
Stephanie beendete ihr Frühstück und bat um die Rechnung. Sie saß in einem Restaurant in der Nähe des Dupont Circle, nicht weit von ihrem Hotel. Das ganze Magellan-Billet war mobilisiert worden, und sieben ihrer zwölf Juristen arbeiteten ihr nun unmittelbar zu. Nach dem Mord an Lee Durant waren alle ihre Mitarbeiter äußerst motiviert, aber die Konzentration des Dienstes auf diese Geschichte war auch mit Risiken verbunden. Andere Nachrichtendienste würden bald von ihren Aktionen erfahren, und das bedeutete, dass Larry Daley ihr dicht auf den Fersen sein würde. Aber zum Teufel mit Daley. Malone brauchte sie, und sie würde ihn nicht im Stich lassen. Diesmal nicht.
Sie bezahlte und winkte ein Taxi heran, das sie eine Viertelstunde später am Rande der National Mall – dieser um einen Park angelegten Museumszeile vor dem Capitol – in der 17th Street absetzte. Es war ein warmer, sonniger Tag, und die Frau, die Stephanie vor zwei Stunden angerufen hatte, wartete schon auf einer schattigen Bank vor dem Weltkriegsdenkmal. Sie war eine langbeinige, blonde Frau mit durchtrainiertem Körper, deren Scharfsinn man nicht unterschätzen durfte. Stephanie kannte Heather Dixon seit fast zehn Jahren. Dixon, die einmal kurze Zeit verheiratet gewesen war und ihren Ehenamen behalten hatte, war israelischer Nationalität und als Teil des nordamerikanischen Kontingents des Mossad der israelischen Botschaft in Washington angegliedert. Stephanie und Dixon hatten schon kooperiert, aber auch schon gegeneinander gearbeitet, was im Umgang mit den Israelis öfter vorkam. Stephanie hoffte, dass ihr heutiges Treffen freundlich verlaufen würde.
»Freut mich, Sie zu sehen«, sagte sie, als sie sich setzte.
Dixon, die wie immer ziemlich chic war, trug eine in braungoldenem Streifenkaro gemusterte Hose, eine weiße Hemdbluse und eine schwarze Bouclé-Weste.
»Am Telefon haben Sie besorgt geklungen.«
»Das bin ich auch. Ich muss wissen, wieso Ihre Regierung sich für George Haddad interessiert.«
Der typisch ausdruckslose Geheimdienstlerblick verschwand aus Dixons attraktivem Gesicht. »Sie haben in den letzten Tagen nicht geschlafen.«
»Ihre Leute aber auch nicht. Seit einigen Tagen wird überall von Haddad gesprochen.« Tatsächlich befand sie sich im Nachteil, weil Lee Durant für sie die Kontakte zu den Israelis gepflegt hatte, und vor seinem Tod hatte er ihr nicht mehr alles berichten können, was er erfahren hatte.
»Was haben denn die Amerikaner für ein Interesse an ihm?«, fragte Dixon.
»Vor fünf Jahren wäre einer meiner Agenten fast wegen Haddad ums Leben gekommen.«
»Und dann habt ihr den Palästinenser versteckt. Ihr wolltet ihn nur für euch haben und habt es nicht für nötig gehalten, eurem
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