Patria
Augenwinkel, wie einer der Touristen die Kamera flink vom Glockenspiel in seine Richtung schwenkte und Sabres Abgang festhielt.
Sabre lächelte.
Wer systematisch Verrat beging, riskierte immer, irgendwann aufzufliegen. Zum Glück hatte er von Jonah alles erfahren, was er wissen musste – und was auch erklärte, warum man sich diese Last nun dauerhaft vom Hals geschafft hatte. Doch nun würden die Israelis von Jonahs Kontakten erfahren. Den Blauen Stuhl schien dies allerdings nicht zu stören, denn Sabre hatte ja sogar eigens den Auftrag erhalten, dafür zu sorgen, dass den Beobachtern etwas geboten wurde.
Das hatte er getan.
Für die Israelis und für Alfred Hermann.
23
London
14.30 Uhr
Malone wartete darauf, dass George Haddad endlich zur Sache kam, denn sein alter Freund redete um den heißen Brei herum.
»Vor sechs Jahren habe ich einen Artikel geschrieben«, fuhr Haddad fort. »Er beschäftigte sich mit einer Theorie, an der ich gearbeitet hatte und die sich mit der Frage beschäftigt, wie das Alte Testament ursprünglich aus dem Althebräischen übersetzt worden war.«
Haddad berichtete von der Septuaginta, die zwischen dem dritten und dem ersten Jahrhundert vor Chr. in der Bibliothek von Alexandria entstanden war und die älteste und vollständigste Übersetzung des Alten Testaments ins Altgriechische darstellte. Dann beschrieb Haddad den Kodex Sinaiticus, ein Manuskript des Alten und Neuen Testaments aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. das von späteren Gelehrten und Bibelwissenschaftlern zur Bestätigung anderer biblischer Handschriften herangezogen wurde, auch wenn keiner wusste, ob es überhaupt korrekt war. Und er ging auf die Vulgata ein, die etwa zur selben Zeit vom Heiligen Hieronymus angefertigt worden war und die die erste Direktübersetzung aus dem Hebräischen ins Lateinische war. Sie war mehrmals überarbeitet worden, und es hatte grundlegende Änderungen des Textes im sechzehnten, achtzehnten und zwanzigsten Jahrhundert gegeben.
»Selbst Martin Luther«, erzählte Haddad, »machte sich an der Vulgata zu schaffen und unterschlug dabei einiges, was nicht in sein protestantisches Weltbild passte. An dieser Übersetzung haben so viele Leute herumgepfuscht, dass die ursprüngliche Bedeutung teilweise völlig entstellt wurde.
Nehmen wir dann die King-James-Bibel. Viele Menschen sind der Meinung, diese enthalte das wahre Wort Gottes, doch in Wirklichkeit handelte es sich um eine Übersetzung der Vulgata ins Englische aus dem siebzehnten Jahrhundert. Die damaligen Übersetzer haben den ursprünglichen hebräischen Text niemals zu Gesicht bekommen, wenn sie ihn aber vor Augen gehabt hätten, hätten sie ihn höchstwahrscheinlich nicht verstanden. Cotton, die Bibel, wie wir sie heute kennen, ist durch die Veränderungen der Sprache meilenweit vom Ursprungstext entfernt. Die King-James-Bibel trägt den schönen Beinamen ›autorisiertes Original‹. Aber das bedeutet weder, dass sie echt ist, noch, dass sie authentisch oder auch nur richtig ist.«
»Gibt es eigentlich hebräische Bibeln?«, fragte Pam.
Haddad nickte. »Die älteste noch existierende Schrift ist der Kodex von Aleppo, der 1948 in Syrien vor der Zerstörung bewahrt wurde. Aber dabei handelt es sich um ein Manuskript aus dem zehnten Jahrhundert n. Chr. das etwa zwei Jahrtausende später als der ursprüngliche Text nach vollkommen unbekannten Vorlagen angefertigt wurde.«
Malone hatte das Manuskript mit dem steifen, cremeweißen Pergament und der verblassten braunen Tinte in der jüdischen Nationalbibliothek in Jerusalem gesehen.
»In meinem Artikel«, fuhr Haddad fort, »habe ich Vermutungen darüber angestellt, wie bestimmte verschollene Manuskripte helfen könnten, all diese Fragen zu beantworten. Wir wissen, dass das Alte Testament in der Bibliothek von Alexandria von zeitgenössischen Philosophen studiert wurde. Von Männern, die des Althebräischen tatsächlich mächtig waren. Wir wissen auch, dass sie ihre Gedanken dazu schriftlich festgehalten haben. In einigen bis heute erhaltenen Manuskripten gibt es Hinweise auf diese Werke, zum Teil werden Sätze oder ganze Abschnitte zitiert, doch leider sind die ursprünglichen Texte verloren. Darüber hinaus kann es auch noch alte jüdische Texte geben, immerhin wissen wir, dass in der Bibliothek zahlreiche Texte dieser Art gesammelt wurden. Doch in späteren Zeiten wurden jüdische Schriften massenhaft zerstört, vor allem auch hebräische Alte Testamente. Allein während der
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