Patterson James
Ablehnung in ihr aufstieg. Sie
mochte Terry Marshall, zugegeben, doch ihre biologische
Mutter verstand einen verdammten Dreck von Sicherheit für
Max und die anderen Kinder. Die übrigen Eltern bemühten sich
nervös, ihre aufsässigen Kinder zu beruhigen. Max hörte die
Zwillinge kreischen. »Lasst uns in Ruhe! Bitte lasst uns in
Ruhe! Geht weg!«
In Max regten sich Anspannung und Furcht, und in ihrem
Kopf drehte sich alles. Wenn du redest, bist du tot. Sie musste
von hier weg, wenigstens für ein paar Minuten. Sie musste raus
aus diesem beengten Raum. All der Lärm, die rüden,
drängelnden Menschen. Und am schlimmsten von allen die
Presseleute mit ihren winzigen Hörern im Ohr und ihren mit
bunten Senderlogos überpflasterten Mikrofonen, die ihre
widerlichen, neugierigen Augen nicht einen Moment lang von
ihr abwandten.
Max brauchte Luft.
Selbst wenn es gefährlich war.
Sobald die Marshalls im Beratungszimmer des Richters
verschwunden waren, flog Max förmlich durch die Doppeltür
und hinaus auf den breiten Gang dahinter.
Ein Stück weit voraus befanden sich mehrere Aufzüge mit
glänzenden, polierten Metalltüren. Max blickte sich um und sah
Frannie und Kit, die sich nach Kräften bemühten, die Menge
zurückzuhalten. »Die Kinder brauchen ein paar Minuten für sich
allein«, hörte sie Frannie sagen. »Keine Angst, es geschieht
Ihnen nichts. Sie sind verängstigt und aufgeregt, das ist alles.
Vertrauen Sie ihren Instinkten.« Dann hörte sie die anderen fünf
herbeikommen, mit laut flatternden Flügeln.
»Warte, Max! Warte auf uns, Herrgott noch mal!«, brüllte Oz.
»Max, lass uns zusammenbleiben!«
Max lauschte dem knirschenden Geräusch einer
herannahenden Aufzugskabine, die im fünften Stock zum Halten
kam. Die Türen glitten auseinander, und die Kinder drängten
sich in den Lift.
Ja, vertrauen wir unseren Instinkten.
»Nach oben«, sagte Oz.
»Ausgezeichnet«, antwortete Max. »Oben gefällt mir.«
Die anderen jubelten. Oben gefiel allen.
Nach oben! Höher! Noch höher!
Die Aufzugstüren öffneten sich, und die Kinder strömten
hinaus in einen ausgedehnten, leeren Raum. Max entdeckte eine
Eisentür mit hellroten Buchstaben darauf: ROOF. Das Dach. Sie
benutzte beide Hände, um sie aufzudrücken.
»Das Dach! Das Dach! Das Dach!«, riefen die übrigen Kinder
aufgeregt. »Das Dach ist genau das Richtige!«
»Kommt, wir verduften!«, sagte Icarus laut. »Lasst uns
fliegen!«
» Bitte, Max! Können wir fliegen?«
»Fliegen! Fliegen!«, wiederholten die Kinder im Chor.
Die Nachmittagssonne brannte auf das Dach des
Gerichtsgebäudes nieder, doch die Brise in Max’ Gefieder nahm
ihr die Hitze. Der Wind kam direkt von hinten. Er wehte von
Norden, und besser konnte es gar nicht sein.
Genau richtig.
Zum Fliegen – zur Flucht!
»Komm, lass es uns versuchen«, sagte Oz, der wie ein junger
Prinz am Rand der Brüstung stand. »Du weißt, dass wir es
versuchen sollten, gib es zu! Sie werden uns auseinander reißen.
Es gibt keine Gerechtigkeit in diesem Land. Das ist alles nur ein
Märchen!«
»Ja, kommt, wir verschwinden«, sagte der blinde Icarus.
»Wenn ich euch nicht um mich habe, kann ich überhaupt nicht
mehr fliegen!«
»Bitte, Max, ja? Bitte, lass uns fliegen«, bettelte Wendy. »Wir
können doch fliegen, oder nicht?«
» Fliegen, fliegen, fliegen! « , setzte der Chor wieder ein.
»Wir sollten machen, dass wir von hier verschwinden, so
schnell, als wäre der Leibhaftige hinter uns her!«, bemerkte Oz
düster. Er war nach Max der Älteste, und er war der Stärkste.
Das Alpha-Männchen. »Wir sollten wegfliegen und nie wieder
zurückkommen. Ich meine es ernst, Max. Das sagen mir meine
Instinkte. Du weißt, dass ich Recht habe. In diesen kleinen,
getrennten Familien werden wir nicht überleben.«
Max seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich mag die Wälder
ebenfalls, Oz. Aber ich hasse es, dir sagen zu müssen, dass der
Winter kommt.«
»Na und?«, sagte Matthew. »Dann stehlen wir uns eben
Decken. Und Miracoli und dicke rote Bohnen, von denen man
sich das Gehirn so schön rausfurzen kann.«
Max musste über die blumigen Worte ihres jüngeren Bruders
lachen. »Sicher. Aber wir wollen auch alle Kopfkissen und
Handys und Gemüsepizza und die neuesten Videos.«
Matthew starrte sie erschrocken an. Er sah aus, als würde er
jeden Augenblick anfangen zu weinen.
»Hey, sei nicht traurig«, munterte sie ihn auf. »Kopf hoch,
Cowboy! Wenigstens werden wir beide zusammen
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