Patterson James
zu. Ein Typ in flottem schwarzem Anzug trat auf uns zu.
»Benötigen Sie einen Fahrer?«
Andie und ich blickten uns an. Wir hatten keinen Plan gemacht, wussten nicht, wie wir in die Stadt zurückfahren sollten.
»Sicher, könnten wir gut gebrauchen«, meinte ich.
Ich nannte dem Fahrer Andies Adresse. Die meiste Zeit während der Fahrt betrachteten wir nur die vertraute Umgebung –
das Messegelände, das Shea-Stadion. Ich glaube, wir waren
beide nervös und hatten Angst davor, was als Nächstes passieren
würde. Ich wusste nicht, ob man mich verhaften würde. Und
Andie – irgendwie hatte ich nicht den Eindruck, dass sie wieder
für Werbesendungen vorsprechen würde.
Als wir über die Triborough-Bridge fuhren und uns Andies
Wohnung näherten, blickte sie mich nur an. Tränen traten in ihre
Augen, und sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Nick, ich
kann einfach nicht.«
»Was kannst du nicht, Andie?«
»Ich kann nicht aus diesem Taxi steigen. Ich kann nicht ohne
dich in mein altes Leben zurückkehren.«
Als ich meine Hand an ihre Wange legte und eine Träne aus
ihrem Augenwinkel wischte, hielt sie sie fest. »Ich kann nicht in
meine Wohnung zurückkehren und so tun, als würde ich mein
Leben neu beginnen und dass ich dieselbe bin wie vorher. Weil
ich das nicht bin. Und wenn ich durch meine Tür trete, muss ich
mich mit dem auseinandersetzen, was ich dort vorfinde – mein
dummes Leben.«
»Dann tu es nicht.« Ich umfasste ihre Schulter. »Geh durch
meine Tür.«
»Ich kann meinen Sohn nicht vergessen, Nick, und werde es
nie tun. Aber ich will ihn nicht für den Rest meines Lebens
vermissen.«
»Andie« – ich legte meinen Finger auf ihre Lippen –, »geh
durch meine Tür.«
Tränen liefen an ihren Wangen hinab, die Mascara war verwischt. Ich wusste nicht, ob sie sich freute oder litt. »Weißt du,
was ich letztes Jahr verdient habe?«, fragte sie. »Vierundzwanzigtausendsechshundert Dollar, Nick. Und davon stammte das
meiste aus Wiederholungsgagen.«
»Das ist mir egal«, beruhigte ich sie und streichelte ihr Gesicht. »Ich kenne die Wahrheit. Du musst sie mir nicht
beweisen. Schließlich bist du eine gute Schauspielerin.«
Andie erstickte ihr Lachen. »Adressenänderung«, rief ich nach
vorne zum Fahrer.
Ich nannte ihm meine. Wir fuhren nach Hause. Gemeinsam.
EPILOG
EIN JAHR SPÄTER
126
Richard
Nordeschenko schielte auf seine Karten hinab –
Herz-König und Herz-Zehn. Er beschloss, sie auf der Hand zu
behalten. Vor ihm lagen mehrere Stapel Chips. Auf diesen
Abend hatte er sich schon lange gefreut – ihm ging es richtig
gut.
Der Amerikaner hatte zu seinem Wort gestanden. Nichts war
nach der Entführung seines Sohnes passiert. Keine Polizei. Kein
Mossad. Kein Interpol. Niemand hatte ihn mit Cavellos Flucht
in Verbindung gebracht. Oder mit Reichardts Tod in Haifa. Er
hatte sein Geschäft dichtgemacht und alle Kontakte zu seinem
früheren Netzwerk abgebrochen.
Ein Jahr später beschloss er, dass keine Gefahr mehr bestand,
wenn er wieder anfing zu arbeiten. Er hatte wieder einen
Auftrag in Amerika angenommen. Er betraf einige verzweifelte
Männer aus dem Iran, und er war gut – und im Voraus – bezahlt
worden.
Derzeit lief er unter dem Namen Alex Kristancic herum, ein
Geschäftsmann aus Slowenien. Laut Visum war er hier, um
Wein auf einer Messe im Javits Center zu verkaufen.
Den ganzen Abend über war ihm das Glück wohlgesonnen.
Sein Stapel Chips war ständig gewachsen, und er zählte sein
Geld, das er gewonnen hatte, schon gar nicht mehr. Zwei Wodka
hatte er sich gegönnt.
Ein- oder zweimal hatte sein Blick den einer Frau an einem
Tisch ihm gegenüber gekreuzt. Sie trug ein tief ausgeschnittenes
Kleid, ihr dunkles Haar hatte sie zu einer eleganten Frisur
hochgesteckt. Sie schien alleine hier zu sein, und sie spielte an
einem Tisch für kleine Einsätze.
Mit den Flop-Karten wurden wieder ein König und eine Zehn
aufgedeckt, die hervorragend zu seiner Hand passten. Das Glück
blieb ihm weiterhin hold. Gut war: Auch ein anderer Spieler
hielt bis zum Ende durch. Nordeschenko drehte seine Karten
um. Der andere, übertrumpft mit zwei niedrigen Paaren, stöhnte.
Die Götter meinten es gut mit Nordeschenko.
»Das war’s dann für mich«, verkündete er und schichtete seine
Chips zu kleinen, gleichmäßigen Stapeln auf. Er schlenderte an
die Bar und bestellte noch einen Wodka. Es ging ihm wirklich
gut – und noch besser, als die Frau auf den leeren
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