Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
hereingebeten.
»Guten Morgen, Kleiner.« Sampson gab nicht auf. Dann stülpte er die Oberlippe zurück, dass man seine weißen Zähne sehen konnte. Sein Lächeln war von brutaler Fröhlichkeit. Schließlich konnte ich nicht anders – ich musste meinen Freund und Rachegott ebenfalls anlächeln.
Es war kurz nach neun, und ich war gerade erst aufgestanden. Das war spät für mich. Nach Nanas Maßstäben war es schändlich. Ich litt immer noch unter Schlafmangel und Traumaschock. Es bestand die Gefahr, dass ich den Rest meines Verstandes verlor, dass ich kotzte oder irgendetwas Beschissenes und Unerwartetes anstellte. Aber ich fühlte mich trotzdem viel besser. Ich sah gut aus , großartig.
»Willst du nicht mal guten Morgen sagen?«, fragte Sampson und tat beleidigt.
»Morgen, John. Ich will es gar nicht wissen«, sagte ich. »Was auch immer dich an diesem kalten und düsteren Morgen hergeführt hat.«
»Das ist die erste intelligente Bemerkung, die ich seit Jahren aus deinem Mund gehört habe«, meinte Sampson. »Aber ich fürchte, ich glaube dir nicht. Du willst alles wissen. Du musst immer alles wissen, Alex. Deshalb liest du ja auch jeden Morgen vier Zeitungen.«
»Ich will’s auch nicht wissen«, krähte Nana hinter mir aus der Küche. Sie war selbstverständlich schon seit Stunden auf. »Ich brauche nichts zu wissen. Also, schwirr ab. Brat dir ein Eis. Oder mach einen langen Spaziergang auf einem kurzen Dock, Jonnyboy.«
»Haben wir Zeit fürs Frühstück?«, fragte ich ihn.
»Eigentlich nicht«, antwortete er und bemühte sich, weiterhin zu lächeln. »Aber lass uns trotzdem was essen. Wer kann da schon widerstehen?«
» Er hat dich eingeladen, nicht ich «, warnte Nana vom Herd her.
Sie neckte Sampson. Sie liebt ihn, als wäre er ihr Sohn, als wäre er mein körperlich größerer Bruder. Sie machte für uns beide Rühreier, Würstchen, Bratkartoffeln und Toast. Sie kann hervorragend kochen und könnte leicht und locker die gesamte Mannschaft der Washington Redskins im Trainingslager durchfüttern. Für Nana wäre das kein Problem.
Sampson wartete, bis wir aufgegessen hatten, ehe er zur Sprache brachte, was passiert war. Sein dunkles kleines Geheimnis. Es scheint seltsam – aber wenn das Leben voll von Morden und anderen Tragödien ist, muss man lernen, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Die Morde sind auch später noch da. Die Morde sind immer da.
»Dein Mister Grayer hat mich vorhin angerufen«, sagte Sampson, als er sich die dritte Tasse Kaffee einschenkte. »Er fragte, ob du dir ein paar Tage freinehmen kannst, damit sie das erledigen könnten. Sie , wie in den alten Horrorfilmen, die mächtigen Unsichtbaren, vor denen wir uns früher so gefürchtet haben.«
Ich stopfte das letzte Stück Zimttoast aus selbst gebackenem Brot in mich hinein. Ehrlich, das war ein himmlischer Genuss. Nana behauptet, sie hätte »da oben« ein paar Rezepte gestohlen. Ich bin geneigt, ihr zu glauben. Schließlich habe ich die Beweise gesehen und sogar gegessen.
Sampson warf einen Blick auf die Armbanduhr, eine alte Bulova, die sein Vater ihm geschenkt hatte, als er vierzehn war.
»Sie durchsuchen jetzt wohl Jills Büro in Washington. Dann nehmen sie sich ihre Wohnung an der Vierundzwanzigsten Straße vor. Willst du mitkommen? Als mein Gast? Ich hab dir einen Gästeausweis besorgt – nur für alle Fälle.«
Selbstverständlich wollte ich dorthin. Ich musste hin. Ich musste alles über Jill wissen, genau wie Sampson behauptet hatte.
»Du bist der Teufel«, zischte Nana Sampson an.
»Danke, Nana.« Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln mit tausendundeinem Zahn. »Ein großes Lob. Wirklich.«
104.
Wir fuhren in Sampsons schnittigem schwarzen Nissan zu Sara Rosens Wohnung. Nanas warmes Frühstück hatte mich zumindest in die wirkliche Welt zurückgebracht. Ich fühlte mich zum Teil wiederbelebt. Körperlich bestimmt, gefühlsmäßig nur vielleicht.
Ich war sehr gespannt auf Jills Zuhause. Ich wollte auch ihr Büro im Weißen Haus sehen, aber das konnte ein oder zwei Tage warten, fand ich. Aber ihr Zuhause. Es war für den Detective und den Psychologen gleichermaßen unwiderstehlich.
Sara Rosen wohnte in einem zehnstöckigen Hochhaus an der Vierundzwanzigsten und K Street. Im Gebäude war eine Art Rezeption mit einem »Captain«, der unsere Polizeiausweise genau studierte und uns dann zögernd Eintritt gewährte. Ansonsten war die Eingangshalle sehr ansprechend. Teppichboden, viele Pflanzen in Töpfen.
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