Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
Nicht der Typ von Gebäude, in dem man Meuchelmörder zu finden erwartete.
Aber Jill hatte hier gewohnt, richtig?
Eigentlich passte die Wohnung in das psychologische Profil, das wir von Sara Rosen entworfen hatten. Sie war das einzige Kind eines Army-Colonels und einer Englischlehrerin an der High School. Aufgewachsen war sie in Aberdeen, Maryland. Dann hatte sie das Hollins College in Virginia besucht. Hauptfächer Geschichte und Englisch, die sie mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Vor sechzehn Jahren – mit einundzwanzig – war sie nach Washington gekommen. Sie hatte nie geheiratet, aber im Lauf der Jahre mehrere feste Freunde gehabt. Einige Mitarbeiter im Weißen Haus und in der Kommunikationsabteilung nannten sie die »sexy alte Jungfer«.
Ihre Wohnung lag in der vierten Etage des zehnstöckigen Gebäudes. Sie war hell und bot den Blick auf einen Innenhof. Das FBI war schon bei der Arbeit. Chopin ertönte leise aus der Stereoanlage. Es war eine entspannte Atmosphäre, beinahe angenehm und sorglos. Schließlich war der Fall abgeschlossen .
Sampson und ich verbrachten die nächsten Stunden mit den Spurensicherungsleuten vom FBI, die nach irgendwelchen Hinweisen suchten, die mehr über Sara Rosen verrieten, als wir bisher wussten.
Hier hatte Jill gelebt.
Wer zum Teufel warst du, Jill? Wie ist das mit dir geschehen? Was ist passiert, Jill? Sprich zu uns! Ich weiß, du willst reden, du einsames Mädchen.
Ihre Wohnung besaß ein Schlafzimmer und ein kleines Arbeitszimmer. Wir würden jeden Quadratzentimeter unter die Lupe nehmen. Die einstige Bewohnerin dieser Zimmer hatte geholfen, Präsident Byrnes zu ermorden. Im Arbeitszimmer hatten sie den Videofilm bearbeitet. Jetzt war die Wohnung von historischer Bedeutung. Denn solange das Gebäude stand, würden die Menschen darauf zeigen und sagen: »Da hat Jill gewohnt.«
Sara Rosen hatte nichts sagend aussehende Möbel im Stil eines Country Clubs gekauft. Alles typisch Mittelklasse. Ein Sofa und ein Armsessel mit Baumwollbezügen. Schilder örtlicher Geschäfte: Mastercraft Interiors, Colony House in Arlington. Kühle, kalte Farben in jedem Zimmer. Viele elfenbeinfarbene Gegenstände in Jills Wohnung. Ein eisblauer gemusterter Teppich. Ein heller gemaserter Schrank aus Fichtenholz.
An den Wänden hingen gerahmte Weihnachtskarten und Briefe hoch stehender Persönlichkeiten aus dem Weißen Haus: vom jetzigen Pressechef, dem Stabschef, sogar ein paar Zeilen von Nancy Reagan. Es gab keine Fotos der »Feinde«, die Präsident Byrnes mir gegenüber erwähnt hatte. Sara Rosen war insgeheim eine Promifickerin gewesen, nicht wahr? War Jack für sie ein Promi gewesen, ein Star? War Jack wirklich Kevin Hawkins?
Sprich zu uns, Jill! Ich weiß, du willst reden. Erzähl uns, was wirklich geschehen ist! Gib uns einen Hinweis!
Auf dem kleinen Rollschreibtisch lag Post von der Heritage Foundation und dem Cato Institute, beides konservative Organisationen. Ferner gab es mehrere Ausgaben von U.S. News & World Report, Southern Living und Gourmet .
Dann noch Reklamezettel über Dichterlesungen im Chapters an der K Street und von Politics and Prose, Buchläden in und um Washington. Hatte Jill die Gedichte an den Mordschauplätzen verfasst?
Aus einem Buch war ein Gedicht ausgeschnitten und an die Wand über dem Schreibtisch geklebt.
Wie trostlos – nur ein Jemand zu sein! Wie allsichtbar man doch ist –
gleich einem Stern Sagt man den Namen – die langlebige June – einem bewundernden Herrn.
Emily Dickinson
Offensichtlich teilte Emily Dickinson Saras Meinung über Berühmtheiten wie Jack und Jill.
Die Wände des Arbeitszimmers und des Schlafzimmers waren mit Büchern bedeckt, waren regelrechte Bücherwände. Romane, Sachbücher, Gedichtbände. Kitsch und Literatur. Jill, die Leseratte. Jill, die Einzelgängerin. Jill, die sexy alte Jungfer.
Wer bist du, Jill? Wer bist du, Sara Rosen?
Wer bist du, Sara-Jill?
Hat sich bis jetzt überhaupt jemand um dich gekümmert?
Warum hast du geholfen, dieses entsetzliche Verbrechen zu verüben? War es das wert? So zu sterben wie du, als einsame alte Jungfer? Wer hat dich umgebracht, Jill? War es Jack?
Wenn ich nur ein eindeutiges Stück der Wahrheit fände – nur ein einziges –, würde sich der Rest ergeben, und wir würden endlich verstehen. Ich wollte glauben, dass es so sein könnte.
Ich durchsuchte Jills Kleiderschrank. Ich entdeckte Kostüme konservativen Zuschnitts, hauptsächlich in dunklen Farben, mit Schildern von
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