Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
noch cool bleiben. Das wusste er. Darauf musste er sich jetzt konzentrieren. Er hatte bereits beschlossen, eine Zeit lang unterzutauchen – in seinem Kopf .
Er schlenderte in Arlington durchs PentagonEinkaufszentrum. Während er durch The Gap und dann durch Victoria’s Secret ging, kochte es in seinem Innern. Er war besessen von dem Gedanken, wie er sich an irgendjemand rächen konnte. An allen rächen könnte. A tout le monde – verzeihen Sie sein Französisch, s’il vous plaît.
Ein Song, ein Oldie, den er morgens auf MTV gehört hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Seit Stunden hüpfte der Text wie Tischtennisbälle in seinem Schädel herum. Er hörte Beck, den Sänger der Gruppe, einen hoffnungslosen drittklassigen Musikclown aus Los Angeles: Ich bin ein Verlierer, Baby, warum tötest du mich nicht?
Ich bin ein Verlierer, Baby, warum tötest du mich nicht?, wiederholte er die Worte im Kopf.
Ich bin ein Verlierer, Baby, warum tötest du mich nicht?
Er liebte es, wenn diese schwachsinnigen Texte bei ihm in beiden Richtungen funktionierten. Sie handelten von ihm und seinen potenziellen Opfern. Das alles war ein Kreislauf, der einen ganz schön durcheinander bringen konnte, nicht wahr? In seiner verdrehten Schlichtheit war das Leben schön, richtig?
Falsch! Das Leben war nicht schön. Überhaupt nicht.
Jetzt beobachtete er einen kleinen Scheißer, ein potenzielles Opfer, das zu verlockend aussah, um es sich entgehen zu lassen. Der Sojourner-Truth-Killer schlenderte durchs Spielzeuggeschäft Toys »R« Us im Einkaufszentrum. Da es Vorweihnachtszeit war, drängten sich die Idioten in dem Laden.
Aus den Deckenlautsprechern dröhnte der schwachsinnige Werbesong der Ladenkette, der einen zur Weißglut bringen konnte: »Ich will nicht groß werden, ich bin ein Toys-›R‹-UsKind.« Immer wieder. Die Art von hirnloser Wiederholung, wie Kinder sie gern hatten. Die sinnenbetäubende Zahl idiotischer Spielsachen, die zum Kotzen verwöhnten Kids, die selbstzufrieden dreinschauenden Mütter und Väter – bei all diesen Eindrücken wurde ihm heiß, schwindlig, beinahe übel.
Ich will auch nicht groß werden, sagte er zu sich. Ich bin ein Toys-»R«-Us-Kindesmörder.
Er beobachtete, wie der von ihm ausgewählte kleine Junge allein durch einen Gang schlenderte, dessen Regale bis oben hin mit Actionspielzeug gefüllt waren. Der Junge war ungefähr fünf Jahre, ein Alter, in dem man sehr leicht mit den kleinen Scheißern fertig wurde.
Der Wutknopf in seinem Kopf löste einen Großalarm aus. Wumm! Wumm! Wumm! Das schreckliche Gefühl breitete sich rasch bis in die Brust aus. Wumm! Wumm! Ungeheure Anspannung. Er fühlte sich unwohl. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Sein Magen fühlte sich wie ein Stein an. Die Kehle wurde ihm eng. Sogar sein Hirn krampfte sich zusammen.
Sei jetzt vorsichtig, ermahnte er sich. Mach keinen Fehler! Denk daran: Du begehst das perfekte Verbrechen.
Allerdings würde es kein Kinderspiel sein, die Sache in diesem gut besuchten Spielzeugladen durchzuziehen. Was, wenn die Eltern des Jungen in der Nähe waren? Was, wenn man ihn erwischte? Aber das würde nicht passieren! Konnte nicht passieren!
Es war unglaublich wichtig für ihn. Allein wenn er das niedliche runde Gesicht des blonden Jungen betrachtete, konnte er spüren , wie sehr man das Kind vermissen und – was noch besser war – betrauern würde. Er stellte sich die Meldungen vor, mit denen die Fernsehbildschirme bombardiert würden, und verspürte schon jetzt die prickelnde Erregung, wenn er die Nachrichten sah und wusste, dass er für so viel Schmerz, Leid und hektische Aktivität verantwortlich war.
Der kleine Junge wurde nervös, geriet beinahe in Panik. In seinen Augen glitzerten große Krokodilstränen. Niemand, kein Erwachsener, schien in seiner Nähe zu sein. Armer kleiner verlorener Junge. Armer kleiner Prinz.
Langsam und vorsichtig pirschte der Mörder sich an sein Opfer heran. Jetzt gab es kein Halten mehr. Sein Herz schlug wie eine riesige Blechtrommel. Er liebte dieses überwältigende Gefühl. Die Arme und Beine wurden ihm weich. Wackelpudding. Sein Gesichtsfeld verengte sich. Aus Vorfreude, Angst, Furcht und Erregung war ihm schwindlig.
Tu es!
Jetzt!
Er beugte sich hinab, packte den kleinen Jungen und redete lächelnd, so freundlich er konnte, auf ihn ein.
»Hallo! Ich bin Roger, der listenreiche Helfer. Ich arbeite in diesem Geschäft.« Er wies auf die Regale. »Was magst du am liebsten? Wir haben hier alle
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