Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
nicht so. Zufällig war es nämlich mein persönliches Mantra. Wie kannst du diese Arbeit tun, Alex? Warum spielst du den Drachentöter? Wer bist du eigentlich? Was ist aus dir geworden?
»Ich weiß es nicht genau.« Ich sagte die Wahrheit.
Warum hatte ich ihr gegenüber diese Schwäche zugegeben? Das tat ich nur selten, nicht einmal bei Sampson. Aber da war etwas in ihren Augen. Sie forderten die Wahrheit.
Ich senkte den Blick, drehte mich zur Seite. Ich konnte nicht anders. Dann machte ich mir wieder Notizen. Mir schwirrte der Kopf vor Fragen, schlimmen Fragen, schlimmen Gedanken und noch schlimmeren Gefühlen, was die Morde betraf. Die beiden Morde. Die beiden Fälle.
Warum hasst er Kinder so sehr?, fragte ich mich immer wieder. Wer kann kleine Kinder bloß so sehr hassen? Der Mörder musste selbst schlimm missbraucht worden sein. Wahrscheinlich ein Mann, Anfang oder Mitte zwanzig. Ein Mann, der seine Taten weitgehend planlos und unvorsichtig verübte.
Ich hatte das sichere Gefühl, dass wir ihn erwischen würden. Aber würden wir ihn früh genug erwischen?
26.
Ich wartete auf ein mögliches Disziplinarverfahren des Departments. Ich wartete auf das Zischen des Henkerbeils. Es kam nicht. Doch Chief Pittman hielt sein scharfes Messer über meinen Kopf. Der Häuptling trieb sein Spielchen mit mir. Katz und Maus.
Vielleicht hielten höhere Mächte ihn davon ab zuzustechen, wegen Jack und Jill. Genau. Das musste der Grund dafür sein. Die Herren hatten das Gefühl, mich bei der Suche nach den Promimördern zu brauchen.
Während ich im Fegefeuer wartete, gab es alle Hände voll zu tun. Ich verbrachte die Stunden damit, immer wieder die Daten der Abteilung für Verhaltensforschung des FBI durchzugehen. Ich suchte nach irgendeiner Verbindung zwischen den Kindermorden an der Sojourner Truth mit anderen Morden in Washington – oder in irgendeiner anderen Stadt. Dann nahm ich mir Jack und Jill und den Kindermörder genauer vor. Wenn man einen Mörder verstehen will, muss man sich seine Arbeit anschauen. Jack und Jill arbeiteten nach einer sorgfältigen Methode. Der Kindermörder nicht. Er war schlampig. Unterschiedlicher hätten die Fälle nicht sein können.
Ich war immer noch der Ansicht, zwei derart komplizierte Mordfälle nicht gleichzeitig bearbeiten zu können. Ich hielt den Zeitpunkt für gekommen, dafür zu sorgen, dass mein so genannter Handel mit dem Department in zwei Richtungen funktionierte.
Später am Nachmittag führte ich mehrere Telefonate. Einige Leute im Department schuldeten mir Gefälligkeiten. Was hatte ich zu verlieren?
Abends traf ich mich mit vier Detectives der Mordkommission vom Ersten Bezirk auf dem verlassenen Parkplatz hinter der Sojourner Truth School. Jeder war ein echtes Ekel im Department. Die vier Jungs sorgten für mächtig viel Ärger. Aber sie waren hervorragende Cops. Wahrscheinlich die besten, die ich in Washington kannte.
Alle vier wohnten im Southeast. Jeder nahm die Kindermorde persönlich und wollte die scheußlichen Fälle schnellstmöglich aufgeklärt wissen – ganz gleich, ob ihre eigenen Fälle vorrangig waren.
Sampson traf als Letzter ein, kurz nach zehn Uhr, wie verabredet. Der Chief of Detectives hätte das Geheimtreffen mit Sicherheit verboten. Ich war dabei, eine Sonderkommission Freiwilliger ins Leben zu rufen, die helfen sollte, den Mörder von Shanelle Green und Vernon Wheatley zu finden. Wir waren zwar keine Bürgerwehr, aber nicht weit davon entfernt.
»O Sampson! Schon auf den Beinen?«, spottete Jerome Thurman und lachte mit seiner Fistelstimme, als Sampson endlich zum Kreis der Männer von der Mordkommission stieß. Thurman wog an die zweieinhalb Zentner, hatte aber kaum Fett am Leib. Er und Sampson frotzelten sich immer, waren aber gute Freunde. Wie wir anderen auch. Schon seit wir alle in der High-School-Liga Football gespielt hatten – vor ungefähr tausend Jahren.
»Auf meiner Uhr ist es genau zehn«, erklärte Sampson, ohne einen Blick auf seine uralte Bulowa zu werfen.
»Dann ist es auch zehn«, meinte Shawn Moore. Er war ein junger, harter Polizist. Shawn hatte drei Kinder, und seine Familie wohnte weniger als eine Meile von der Truth entfernt, wie man die Schule in der Gegend üblicherweise nannte. Einer seiner Jungs ging mit Damon in dieselbe Klasse.
»Ich bin froh, dass ihr alle kommen konntet, um in dieser kalten Nacht im Freien zu spielen«, sagte ich, nachdem die ersten unverfänglichen Worte und Frotzeleien beendet waren. Ich
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