Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
überdenken, Kleiner?«
»Selbstverständlich. So lautet meine Tätigkeitsbeschreibung. Das ist Alex’ Markenzeichen«, sagte ich und bedachte ihn mit meinem Killerlächeln.
»Oho!«, sagte Mount John und grinste wieder. Mann, war ich gern mit ihm zusammen! Ich genoss es, ihn zum Lachen zu bringen.
»Gibt’s irgendwas Neues vom Rest des Teams?«, fragte ich. »Von Jerome oder Rakeem?«
»Alle arbeiten an dem Fall, aber bis jetzt ohne greifbare Ergebnisse. Nichts Neues vom Sturmtrupp.«
»Wir brauchen bei der Beerdigung des Jungen und am Grab von Shanelle Observierungsteams. Vielleicht will der Mörder dabei sein ... muss dabei sein. Das ist bei vielen Serientätern so.«
Sampson verdrehte die Augen. »Wir tun, was wir können. Wir geben unser Bestes. Observierung an einem Kindergrab. Scheiße.«
Um Viertel nach vier trennten wir uns. Ich fuhr zur Sojourner Truth School.
Das Auto der Rektorin stand auf dem kleinen eingezäunten Parkplatz. Mir fiel ein, dass Mrs. Johnson manchmal noch lange nach Unterrichtsschluss arbeitete. Das war gut für mich. Ich wollte mit ihr über Shanelle Green und Vernon Wheatley sprechen. Welche Verbindung gab es zwischen der Truth School und dem Mörder – falls es eine gab? Wie konnte sie aussehen?
Ich wusste so ungefähr, wo sich das Büro der Rektorin im Anbau befand, deshalb ging ich direkt dorthin. In fast jeder Gegend dieser Stadt hätte man die Truth als eine heitere, schöne Schule bezeichnet. Draußen war in Straßennähe ein Maschendrahtzaun um den Schulhof gespannt, aber drinnen war alles bunt und fröhlich und fantasiereich dekoriert.
Im Vorübergehen las ich mehrere handgeschriebene Poster und Spruchbänder.
Kinder sind das Wichtigste. Wachse, wo du gepflanzt bist. Erfolg kommt in Tüten, nicht in Säcken. Abgedroschen, aber nett. Inspirierend für die Schüler – und auch für mich.
In dieser Woche waren die Vitrinen auf den Gängen mit »Tierwohnungen« gefüllt: Dioramen, die von den Kindern gefertigt worden waren. Jedes zeigte ein Tier in dessen natürlichem Lebensraum. Ich musste daran denken, dass auch die Sojourner Truth ein großartiger Lebensraum hätte sein können. Unter normalen Umständen wäre sie ein wunderbarer Platz für Damon gewesen, um zu lernen und aufzuwachsen.
Unglücklicherweise wurden zwei Zwerge dieser Schule in der vorigen Woche ermordet.
Was mich furchtbar wütend machte – und mir mehr Angst einjagte, als ich zugeben wollte. In meiner Kinder- und Jugendzeit starben selten Kinder in unseren Schulen – wenn überhaupt –, obgleich es in Washington, D.C., nichts Außergewöhnliches gewesen wäre. Und jetzt geschah es dauernd in den Schulen, aus allen möglichen Gründen. Nicht nur in Washington, sondern auch in Los Angeles, New York, Chicago, vielleicht sogar in Sioux City.
Was zum Teufel ging vor in diesem Land – von einem glänzenden Meer zum anderen?
Die schwere Holztür zum inneren Verwaltungsbüro stand offen. Die Sekretärin schien bereits fort zu sein. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Sammlung weißer, afrikanischamerikanischer und asiatischer Puppen. Auf dem Schild stand: Barbara Breckenridge. Ich kann wirklich Stepp tanzen.
Ich kam mir vor wie ein Einbrecher oder ein anderer Ganove. Plötzlich war ich besorgt, dass die Rektorin zu so später Stunde noch allein in der Schule arbeitete.
Jeder konnte so ungehindert ins Gebäude wie ich gerade. Der Sojourner-Truth-Killer konnte abends hier hereinspazieren. Es wäre ganz leicht. Kinderleicht.
Ich bog um die Ecke zum Hauptbüro und wollte gerade mein Erscheinen ankündigen, als ich Mrs. Johnson sah. Sofort fiel mir der Vorname ein, der mir damals in den Sinn gekommen war: Christine .
Sie arbeitete an einem altmodischen hohen Rollschreibtisch, der hundert Jahre alt aussah, und war völlig in ihre Arbeit vertieft.
Ich betrachtete sie ein paar Sekunden lang. Sie trug bei der Arbeit eine Goldrandbrille und summte einen populären Schlager. Es hörte sich nett an.
Die Szene wirkte ungemein heiter, ja beinahe rührend. Die hingebungsvolle Lehrerin, die engagierte Erzieherin bei der Arbeit. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Sie ist noch zäher als du, Daddy.
Was das betraf, machte ich mir immer noch Gedanken. Mrs. Johnson sah überhaupt nicht zäh aus, sondern fröhlich und glücklich. Sie sah aus, als würde um sie herum Friede herrschen – und darum beneidete ich sie.
Schließlich kam ich mir zu blöd vor, gaffend auf der Schwelle zu stehen. »Hallo, Mrs. Johnson.
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