Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
und die Washingtoner Polizei hinzugebeten. Ich will nicht die übliche interne Untersuchung vornehmen und mir hinterher Vorwürfe anhören müssen, alles zu vertuschen«, erklärte sie mir. Wir fuhren jetzt unter hohen alten Bäumen dahin, die an Richmond und Charlottesville erinnerten. »Die CIA ist kein ›Kult‹ mehr, wie mehrere Selbstbedienungs-Kongressabgeordnete uns genannt haben. Wir ändern alles. Schnell. Vielleicht zu schnell.«
»Sie missbilligen das?«, fragte ich.
»Keineswegs. Es muss so sein. Ich mag nur nicht das ganze Theater drumherum. Und am wenigsten schätze ich die Berichterstattung der Medien. Was für eine unglaublich große Herde ausgemachter Blödmänner.«
Wir hatten den Beltway gekreuzt und fuhren jetzt nach Chevy Chase hinein. Wir waren unterwegs zu einem Mann namens Andrew Klauk, ein ehemaliger Kontraktkiller der CIA, einer von der so genannten Killerelite, ein »Geist«.
Jeanne Sterling fuhr, wie sie sprach: mühelos und sehr schnell. Sie schien alles auf diese Weise zu tun. Eine sehr kluge und beeindruckende Frau. Wahrscheinlich musste sie das auch sein. Die »inneren Angelegenheiten« bei der CIA waren ein extrem schwieriges Aufgabengebiet.
»Also, Alex, was haben Sie über uns gehört? Und über mich?«, fragte sie schließlich. »Was besagen die Gerüchte? Was erzählt man sich so?«
»Don Hamerman sagt, dass Sie in Ordnung seien, ein ehrlicher Kerl. Genau, was der Laden im Moment braucht. Hamerman meint, der Aldrich-Ames-Skandal hat der CIA noch mehr geschadet, als wir wissen. Er hält Moynihans ›Gesetzentwurf zum Ende des Kalten Krieges‹ für eine amerikanische Tragödie. Und Ihre eigenen Leute, sagt er, nennen Sie in Langley die ›saubere Jeanne‹. Er ist ein großer Fan von Ihnen.«
Jeanne Sterling lächelte, doch ihr Lächeln war beherrscht. Sie war eine Frau, die sich verdammt gut unter Kontrolle hatte. Intellektuell, emotionell und sogar körperlich. Sie war solide und robust . Ihre faszinierenden bernsteinfarbenen Augen schienen ständig tiefer in ihr Gegenüber eindringen zu wollen. Jeanne Sterling gab sich nicht mit oberflächlichem Augenschein oder simplen Antworten zufrieden: das Merkmal eines guten Kriminalbeamten.
»Eigentlich bin ich gar kein so guter Mensch.« Sie machte ein Pokergesicht. »Während meiner ersten zwei Jahre war ich eine ziemlich gute Fallbearbeiterin. ›Fallbearbeiter‹ ist unser Spitzname für ›Spion‹, Alex. Ich war Spionin in Europa. Harmloser Job. Hauptsächlich ging es um das Sammeln von Informationen.
Danach Militärakademie. Fort McBain. Mein Vater ist Berufssoldat. Er wohnt mit meiner Mutter in Arlington. Beide haben für Oliver North gestimmt. Ich bin eine glühende Verehrerin unserer Regierungsform. Außerdem bin ich versessen darauf, dafür zu sorgen, dass sie noch besser funktioniert. Ich glaube, wir können es schaffen. Ich bin überzeugt davon.«
»Hört sich ziemlich gut an«, meinte ich. Stimmte ja auch. Bis auf die Sache mit Oliver North.
Wir hielten vor einem Haus unweit der Connecticut Avenue und des Circle. Neokolonialstil, drei Stockwerke, sehr schön und anheimelnd. Moos kroch über das geschwungene Dach und auf der Nordseite wieder herunter.
»Hier wohnen Sie?« Ich lächelte Jeanne an. »Also sind Sie doch nicht die saubere Jeanne, die Musterschülerin?«
»Stimmt. Alles eine geschickte Fassade, Alex. Wie Disneyland oder Williamsburg oder das Weiße Haus. Um es Ihnen noch nachdrücklicher zu beweisen, wartet drinnen ein ausgebildeter Killer auf Sie«, erklärte Jeanne Sterling und zwinkerte mir zu.
»In Ihrem Auto sitzt auch einer.« Ich zwinkerte zurück.
49.
Der Nachmittag im späten Dezember war ungewöhnlich hell und sonnig. Es war um die fünfzehn Grad warm. Andrew Klauk und ich saßen deshalb im Freien, hinten im Garten von Jeanne Sterlings schönem Haus in Chevy Chase.
Ein schlichter schmiedeeiserner Zaun umschloss das Grundstück. Das Tor war dunkelgrün, erst kürzlich gestrichen, und stand einen Spalt offen. Eine Sicherheitslücke.
CIA-Stoßtrupp. Killerelite. Geister. Es gab sie tatsächlich. Wenn man Jeanne Sterling glauben durfte, waren es mehr als zweihundert. Alles Freiberufler. Eine beängstigende Vorstellung im Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts. Oder sonst wo.
Und dennoch saß ich jetzt hier mit einem »Geist«. Es war nach drei Uhr, als Andrew Klauk und ich unser Gespräch aufnahmen. Ein leuchtend gelber Schulbus hielt am Zaun; Kinder strömten heraus und auf die ruhige Vorstadtstraße.
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