Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
blonden Haare und trug auch keine Jogginganzüge mit Logos auf der Brusttasche.
Wer zum Teufel bin ich? Zu wem werde ich?, fragte er sich, während seine Schuhe aufs Pflaster klatschten.
Er wusste, dass Haus Nummer 31, Livingston Road durch ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem geschützt war. Er hätte auch nichts weniger erwartet.
Jetzt drückte er aufs Tempo. Schließlich bog er von der asphaltierten Straße ab und verschwand im Gebüsch und zwischen Fichten. Er lief weiter durch den Wald.
Er war in guter körperlicher Verfassung und hatte noch nicht viel geschwitzt. Das kalte Wetter half. Er war hellwach, frisch und bereit, das Spiel wieder aufzunehmen, bereit, wieder zu morden.
Seiner Schätzung nach konnte er nahe ans Haus herankommen, vielleicht sogar bis auf zehn Meter. Dann ein Spurt zur Garage.
Während dieser kurzen Zeitspanne war er auf offenem Gelände. Völlig frei. Aber es gab keine andere Möglichkeit.
Bei Gott, er hatte sich den Kopf zerbrochen, um eine andere Angriffsmöglichkeit zu finden.
Er war im Begriff, ein Haus in McLean anzugreifen. Einfach unglaublich! Das war wie ein Krieg. Ein Krieg, der zu Hause gekämpft wurde. Ein Revolutionskrieg.
Aus dem lichten Wald sah er zwei weitere große Häuser im Kolonialstil auftauchen. Noch brannte kein Licht. In der gesamten Livingston Road schien noch niemand aufgestanden zu sein. Bis jetzt hatte sein Glück angehalten. Sein Glück oder sein Können – oder eine Verbindung von beidem.
Soweit er sah, war im Haus 31 Livingston niemand wach. Aber sicher konnte er erst sein, wenn er im Haus war. Und dann war es für eine Umkehr zu spät.
Drinnen konnte das FBI warten oder auch hier im Wald. Ihn würde jetzt nichts mehr überraschen. Alles konnte passieren, jederzeit – ihm oder Jill.
Er beschloss, aus dem Wald hervorzutreten, nach außen hin ganz ruhig, ganz normal. Als würde er hierher gehören. Ohne viel Lärm schob er die Garagentür ein Stückchen hoch und schlüpfte rasch unter dem Spalt hindurch. Jetzt war er drinnen .
Schnurstracks ging er zur Nutone-Alarmanlage und gab den Code ein, mit dem er das hochklassige Sicherheitssystem deaktivierte. Auch hier, in den teuren Villen am Stadtrand, gab es keinen perfekten Schutz. Nicht vor Menschen wie ihm.
Er betrat das Haus. Sein Herz schlug wie ein Rammbock in seiner Brust. Ein Schweißfilm lag auf seinem Hals. Er konnte Aidens Gesicht vor sich sehen – so deutlich, als würde er neben ihm stehen.
Im Haus war alles still, friedlich und aufgeräumt. Leise summte der Kühlschrank. An der Tür hielten Magnete Kinderzeichnungen und die Speisefolge des Mittagessens in der Schule. Der Anblick machte ihm zu schaffen. Kinder. Aidens Kinder.
Aiden junior war neun Jahre alt. Charise sechs. Aidens Frau Merrill war vierunddreißig, fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann. Es war ihre zweite Ehe, seine dritte. Das letzte Mal, als er die beiden zusammen gesehen hatte, schienen sie sehr verliebt zu sein.
Schnell schlich Jack weiter durchs Haus. Ihm stockte der Atem.
Jemand war im Wohnzimmer!
Jack wirbelte nach links, riss die Pistole hoch und richtete sie auf den Mann. O Gott! Es war nur ein verdammter Spiegel! Er blickte auf sein eigenes Spiegelbild.
Er atmete ein paarmal tief durch; dann nahm er seine Mission wieder auf. Das Herz schlug ihm noch immer bis zum Hals. Er ging durchs Wohnzimmer. Es war ihm sehr vertraut. Unzählige Erinnerungen sickerten in sein Bewusstsein. Schmerzliche Gedanken. Er schob sie beiseite.
Er stieg den flauschigen Teppich hinauf, der über den Stufen der Treppe lag. Dann blieb er eine Sekunde lang stehen. Zum ersten Mal beschlichen ihn Zweifel.
Es darf keine Zweifel geben! Zweifel und Unsicherheit konnte er sich nicht leisten. Nicht bei dieser Sache. Nicht bei Jack und Jill.
Er erinnerte sich an den Flur oben im Haus. Er kannte das Haus sehr gut. Er war früher schon mal hier gewesen – als »freundlicher« Besucher.
Das Elternschlafzimmer war die letzte Tür rechts.
Im Schlafzimmer gab es Waffen. Eine 347er in der Schublade des Nachttisches. Eine Automatik klebte unter dem Bett.
Das wusste er. Er wusste alles.
Falls Aiden ihn bereits gehört hatte, war das Spiel aus. Dann endete es hier und jetzt. Es wäre das Aus für Jack und Jill.
Verdammt harte Nüsse, die er zu knacken hatte. Verrückte Gedanken. Zu viele.
Gestern Abend war er noch ins Kino gegangen und hatte sich Pulp Fiction angeschaut. Aber das hatte ihm keine Entspannung gebracht, obwohl er einige Male laut gelacht hatte. Kranke
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