Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
Vielleicht ergab
sich etwas, was für die Ermittlungen hilfreich sein könnte. So
ging es bis kurz vor Mitternacht weiter.
Schließlich erklärte ich, ich müsse nun wirklich nach Hause
fahren. Sie widersprach nicht. In ihren Augen las ich, dass sie
alles verstanden hatte, was heute Abend geschehen war – und
dass sie keine Einwände hatte.
An der Tür erstaunte Christine mich wieder. Sie gab mir ein
Küsschen auf die Wange.
»Kommen Sie ruhig her, Alex, wenn Sie wieder mal reden
möchten«, sagte sie. »Ich bin hier und kümmere mich um meine Pflanzen und mein protziges Haus. Kwenda mzuri «, sagte
sie.
Dabei beließen wir es. Gehe im Guten. Ein seltsames Bild zu
einem seltsamen Zeitpunkt unseres Lebens. Ich hatte keine
Ahnung, ob ihr Mann, der Anwalt, zu Hause war oder nicht.
Schlief er oben im Schlafzimmer? Hieß er wirklich George?
Waren sie noch zusammen?
Das war noch ein Geheimnis, das ich irgendwann lösen würde, aber nicht heute.
Auf der Heimfahrt dachte ich darüber nach, ob ich mich wegen des unkonventionellen Überraschungsbesuchs bei Christine Johnson elend fühlen sollte. Dann beschloss ich, es nicht zu
tun, da mir selbst jetzt der Besuch nicht peinlich erschien. Das
hatte ich Christine zu verdanken. Es war unglaublich, wie sie
es schaffte, dass man sich in ihrer Gegenwart unbefangen fühlte. Absolut unglaublich. In gewisser Weise tat es weh. Zu Hause spielte ich noch eine Stunde Klavier. Beethoven,
dann Mozart. Klassik entsprach meiner derzeitigen seelischen
Verfassung. Dann ging ich hinauf und warf einen Blick auf
Damon und Jannie. Behutsam küsste ich sie auf die Wangen,
so, wie Christine Johnson mich geküsst hatte. Schließlich legte
ich mich unten auf die Couch. Dort versank ich zwar nicht in
tiefes Selbstmitleid, fühlte mich aber schrecklich einsam, bis
ich schließlich einschlief.
Ich schlief gut, bis das wiederholte schrille Klingeln des Telefons mich weckte. Adrenalin schoss durch meinen Körper
wie elektrischer Strom.
Es waren wieder Jack und Jill.
55.
Die Tysons Galleria an Tysons Corner war zusammen mit der benachbarten Tysons Corner Mall eines der größten Einkaufszentren der Vereinigten Staaten, vielleicht der ganzen Welt. Sam Harrison hatte kurz nach sechs Uhr morgens an der riesigen Galleria geparkt.
Mindestens hundert Autos standen da, obwohl Versace und Neiman Marcus, FAO Schwarz und Tiljengrist erst um zehn Uhr öffneten. Maryland Bagels war offen. Düfte aus der beliebten Bäckerei füllten die Luft. Aber Jack war nicht wegen eines heißen Blaubeer-Bagels zu Tysons Corner gekommen.
Vom Parkplatz des Einkaufszentrums joggte er zur Chain Bridge Road in McLean. Er trug eine blau-weiße Fila-Jacke und eine kurze Hose und sah aus, als gehörte er in diese Gegend, in der vorwiegend Häuser für vierhunderttausend bis anderthalb Millionen Dollar standen. Eine der ganz wichtigen Regeln in Jacks Spiel lautete: Sieh immer so aus, als würdest du dazugehören, dann gehörst du bald tatsächlich dazu.
Mit den kurzen blonden Haaren und dem sportlichen Körperbau sah er aus, als wäre er ziviler Pilot bei der USAir oder Delta. Oder vielleicht nur einer der vielen Akademiker – ein Arzt oder ein Anwalt. Jedenfalls schien er hierher zu gehören. Perfekt, nahtlos.
Von Anfang an hatte er gewusst, dass er diesen Mord allein ausführen müsste. Jill sollte nicht hier in McLean Village in Erscheinung treten. Denn dieser Mord war schlimm für ihn persönlich. Dieser Mord sprengte sogar den Rahmen von Jack und Jill, dem Spiel der Spiele.
Der Mord an diesem Morgen würde extrem gefährlich sein. Diese Zielperson ahnte vielleicht, dass jemand es auf sie abgesehen hatte. Opfer Nummer vier würde schwierig werden und machte die harte Tour erforderlich. Über das alles dachte Jack nach, während er in diesem hübschen und friedlichen Viertel Washingtons zu seinem Ziel joggte.
Als er auf die Livingston Road kam, bemühte er sich, den Kopf von allem zu befreien, außer von dem schrecklichen Mord, der vor ihm lag.
Er war wieder Jack, der brutale Promimörder. In wenigen Minuten würde er es beweisen.
Aber es würde schwierig werden, schwieriger als alles Bisherige. Der Mann, den er töten würde, war einer seiner besten Freunde.
Beim Spiel von Leben und Tod war das unwichtig.
Er hatte keine besten Freunde. Er hatte überhaupt keine Freunde.
56.
Ich bin Sam. Ich ... bin ... Sam, dachte er beim Laufen. Aber er war nicht wirklich Sam Harrison.
Er hatte keine
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